Grim
kein Grau mehr in ihrem Blick. Ihre Augen waren schwarz wie die seinen.
Sie zog ihre Hand zurück, doch erst, als sich ein Schatten über ihre Züge legte, nahm Grim die Gestalt wahr, die sich ihm näherte. Er sah den Harlekin gespiegelt in ihren Augen, ein fratzenhaftes Grinsen auf dem Totengesicht, die Hände mit messerscharfen Nägeln ausgestreckt. Die übrigen Geister schlossen sich zusammen, sie näherten sich mit tief geneigten Köpfen, doch gerade, als sie sich vorstürzen wollten, sprang das Mädchen auf.
Ihre Stimme war so hell und klar, dass sie jede Düsternis des Zimmers zerbrach. Samtenes Licht flutete aus ihren Händen, mit unsichtbarem Schlag schleuderte sie die Geister zurück. Der Harlekin landete auf seinem Stuhl, der scheppernd zusammenbrach, und bevor Grim vollständig begriffen hatte, was geschehen war, packte Samhur ihn am Kragen und riss ihn mit sich.
In rasender Geschwindigkeit eilten sie durch den Saal, einzelne Geister rappelten sich auf und griffen nach ihnen, Grim hörte seinen Mantel reißen, als sich schemenhafte Klauen in den Saum gruben, doch schon tauchte die Treppe vor ihnen auf, und er erkannte die Tür an ihrem Ende, eine schwarze Tür war es mit blutrotem Siegel. Samhur presste die Hand dagegen, das Siegel brach mit leisem Stöhnen, ehe die Tür sich öffnete. Grim hörte das Kreischen der Geister hinter sich, er sah, wie Samhur mit Remis über die Schwelle floh, und schaute sich noch einmal um.
Der Harlekin stemmte sich schwankend in die Höhe, in wilder Meute jagten die Ha’rechol auf die Treppe zu, doch ihre Leiber wirkten so bleich und unwirklich, als wären sie nichts als Träume. Nur ein Geist wurde von Licht durchstrahlt, ein kleines Mädchen, das mitten im Zimmer stand und schweigend zu Grim heraufsah. Er neigte den Kopf vor ihr, wortlos legte er die Faust vor seine Brust. Und das Mädchen mit den schwarzen Augen lächelte.
Kapitel 40
Die Dunkelheit war vollkommen. Spitze Felsen bohrten sichin Mias Rücken, ihre Hände waren zerkratzt und blutig und ihre Knie aufgeschlagen von unzähligen Stürzen auf unebenem Boden, doch die Kälte der Tunnelwand drang in ihre Glieder und legte einen dumpfen Schleier über den Schmerz. Regungslos stand sie neben Lyskian und lauschte in die Finsternis.
Sie waren dem Wolf entkommen. Blitzschnell hatte Lyskian sie vor dem steinernen Tor gepackt und mit sich fortgezogen, und nach einer nervenaufreibenden Jagd durch die Katakomben war es ihnen gelungen, sich in diesem Tunnel zu verstecken. Mia wusste nicht, wo sie sich genau befanden. Sie fühlte nur die Feuchtigkeit in der Luft und den Windhauch, der immer wieder nach ihrem Haar griff. Irgendwo gab es einen Ausgang aus diesem Labyrinth, und sie zweifelte nicht daran, dass Lyskian ihn finden würde.
Eine geraume Weile war es nun bereits still gewesen, und umso heftiger fuhr Mia der Schreck in die Glieder, als schwere Schritte den Boden zum Erzittern brachten. Schon hörte sie das Grollen des Wolfs auf der anderen Seite der Tunnelwand, tief und dunkel, als könnte er die Felsen mit einem einzigen Atemzug zum Einsturz bringen. Er witterte. Mia meinte, seinen Atem auf ihrer Haut zu spüren, sie dachte an die blutigen Striemen an ihren Händen und Knien, sie wusste, wie deutlich der Geruch menschlichen Blutes für manche Anderwesen wahrzunehmen war und dass auch der Tarnzauber, den sie über sich gelegt hatte, sie vor einem Khranados nicht unbedingt verbergen würde. Sie konzentrierte sich auf ihren Herzschlag, auf die Dunkelheit um sich herum und darauf, den Atem anzuhalten. Sie wusste, dass der Wolf diese Regung hören würde, und sie erinnerte sich an all die Lektionen, die Lyskian sie gelehrt hatte. Auf dem Grund des Flüstersees hatte sie gelegen, mit nichts als einem Kältezauber in den Gliedern, und über mehrere Minuten keine Luft gebraucht. Doch nun, da sie den Wolf auf der anderen Seite der Wand hörte und die Schatten seiner Augen erneut über ihre Haut tanzen fühlte, fiel es ihr unendlich viel schwerer als unten im See. Aber sie gab dem Drang nicht nach, und kurz sah sie Grims Gesicht vor sich, als sie nach bestandener Prüfung aus dem Wasser gekommen war, sah den Stolz in seinem Blick und die Achtung, und sie schob das Bild beiseite, das sich ihrer bemächtigen wollte, das Bild von ihm im Tunnel, als das Tor sich gesenkt hatte. Ihr Herzschlag tat ihr weh, aber sie rührte sich nicht. Sie würde sich nicht ersticken lassen von Schwäche und
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