Grim
Erinnerung.
»In diesen Augenblicken ergreifen die Dämonen die Macht«, fuhr Samhur fort. Die Geister stierten ihn an, doch etwas von dem Feuer, das sich im Harlekin ausbreitete, griff auch auf sie über, und die Gier wich von ihren Zügen. »Erinnert euch an das Schlachtfest des Bhaal von Genua, an die Hetzjagden in den Ebenen der Brennenden Steppe! Wie oft hat diese Höllenbrut euch zugesetzt, wie oft haben sie eure Leiber in Fluchfeuern verbrannt und in alle Winde verstreut?« Ein Raunen ging durch die Menge, es klang beinahe ängstlich. Samhur nickte langsam. »Bald wird dies wieder geschehen, denn es gibt kaum eine Macht dieser Welt, die sich diesen Kreaturen in den Weg stellen kann, wenn sie erst vollständig erwacht sind. Ihr wisst das! Sie werden auch euch finden, wenn ihr uns nicht gehen lasst!«
Regungslos stand Samhur da, das flammende Schwert in seiner Hand. Die Augen der Geister waren schwarz geworden, ihre Leiber strahlten wie lichtgeflutet, und die Quelle dieses Glanzes war der Harlekin. Schweigend saß er auf seinem Thron, und als Grim ihn betrachtete mit diesem erhabenen, nachdenklichen Ausdruck auf seinen Zügen und der Stille in seinem Blick, da wusste er, dass dieser Ha’rechol nicht immer ein Harlekinskostüm getragen hatte. Er war ein angesehener Mensch gewesen, ein Ehrenmann in lang vergangener Zeit, ehe unsagbares Leid zu Lebzeiten und die Ewigkeit nach seinem Tod ihn aufs Schrecklichste entstellt hatten. Grim fühlte den düsteren Funken auf seiner Haut – und fuhr zusammen, als er zu flackern begann, als er zurücksank in das Weiß der Augen und sein Feuer auch aus den Leibern der umstehenden Geister zog. Sie verblassten, wurden zu Schemen jenseits der Welt, die sie einst gekannt hatten, und als das Lächeln auf die Lippen des Harlekins zurückkehrte, war es wie ein Schnitt quer über Grims Wange.
»Narren«, sagte der Harlekin. »Ihr glaubt, dass ich nicht wüsste, dass es hinter diesem Berg, in dem ich eingeschlossen bin, diesen Hallen aus Schatten und Stein und den Seufzern eurer Ahnen, dieser ewigen, ewigen Luft, die mich durchfließt, gar keine andere Welt mehr gibt?« Seine Stimme war lauter geworden, und bevor Samhur etwas hätte tun können, schoss seine Hand vor und packte den Jäger an der Kehle. Blauer Nebel glitt über seine Finger und kroch langsam über Samhurs Wangen. »Es war ein Fehler von euch, meine Welt zu betreten«, flüsterte der Harlekin. »Denn in ihr gibt es nichts außer mir und meinem Willen. Ich bin der König und … «
»Ich sehe keinen König«, grollte Grim da. »Ich sehe nichts als einen verrotteten Leib, und in ihm wohnt ein faulender Geist. Herr des dreibeinigen Throns – Ihr seid der Narr in diesen Hallen!«
Damit schlug er dem Harlekin vor die Brust. Goldene Flammen hüllten den Geist ein, während er in die Menge flog, zahlreiche Ha’rechol zerrissen in ihrer Glut, doch noch ehe Grim Samhur packen und die Flucht antreten konnte, stürzte sich der Harlekin auf ihn. Das Kostüm hing in Fetzen von seinem Körper, und obgleich seine Finger nichts mehr waren als durchscheinende Schemen, gruben sie sich tief in Grims Hals. Unsagbare Kraft steckte in ihnen, Grim musste an das arme Kaninchen denken, und als der Harlekin ihn zu Boden schleuderte, hörte er seine eigenen Knochen knacken. Heftige Schläge der anderen Geister brachen über ihn herein, die Angreifer flogen durch seinen Körper, als wäre er gar nicht da, und er hörte ihr Lachen in sich widerklingen, jedes Mal, wenn sie ihre Klauen in sein Innerstes gegraben und etwas mit sich fortgerissen hatten. Wie eisige Winde jagten sie durch seine Gedanken, seine Träume, seine Erinnerungen, er sah sie Bilder mit sich nehmen, Gefühle, Gerüche, er rang mit ihnen, um sie zu bewahren, doch kaum, dass die Geisterklauen sie ergriffen, wurden sie durchscheinend, und bald fand er keine Worte mehr für sie. Die eisige Leere der Ha’rechol füllte ihn mit solcher Macht aus, dass die Steine an seiner Wange glühend heiß wurden, aber selbst diese Empfindung drang nur wie aus weiter Ferne zu ihm. Er schloss die Augen, nichts als nebliges Weiß lauerte hinter seinen Lidern, und er wehrte sich vergebens gegen die Ohnmacht, die nach ihm griff. Die Schläge wurden weniger, oder er fühlte sie nicht mehr, und plötzlich hörte er ein Geräusch durch die Dumpfheit, die ihn umgab, einen Klang, der ihn in plötzlichem Erinnern zusammenfahren ließ. Nackte Füße liefen auf ihn zu, er spürte, wie sich jemand neben
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