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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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der roten Tür, der hinter dem Feuer stand, und als sich diese langsam öffnete, ertappte sie sich bei dem Wunsch, darauf zuzustürzen und sie rasch wieder zu schließen. Wie als Reaktion darauf drang das Lachen des Schattenganges über die hölzernen Stufen, und kaum, dass es das Feuer des Marktplatzes erreichte, verstummte die Musik, und die Menschen, die gerade noch fröhlich getanzt hatten, verwandelten sich in Figuren aus Asche. Erschrocken griff Mia nach Lyskians Arm, als die Gestalten sich langsam zu ihnen umdrehten und das Feuer, die Wagen, die Tiere mit einem Zischen in sich zusammenfielen und nichts als roten Sand zurückließen. Nur der Wagen mit der roten Tür war zurückgeblieben, ein bunt bemalter Zirkuswagen in einer Wüste aus tobendem Sand.
    Die aus Holz geschnittenen Fratzen folgten Mia und Lyskian mit den Augen, als sie sich näherten. Der Sand wirbelte um sie herum, und obwohl das grüne Licht, das aus dem Türspalt fiel, unheilschwanger aufflammte, nahm Mia erneut den Duft wahr, der sie schon im Lager von Saint Denis unwiderstehlich angezogen hatte. Mit angehaltenem Atem trat sie hinter Lyskian in den Wagen und sofort schloss sich die Tür hinter ihnen. Er war größer, als es von außen den Anschein hatte. Bücherregale standen an den Wänden, Grasbündel, bunte Lampions und Marionetten hingen von der Decke, und in den Oberlichtern, die das rote Licht der Wüste hereinließen, funkelten schwarze und weiße Kristalle und malten Schattenspiele auf die Wände. Ohrensessel standen neben einem schwarzen, mit Teufelsfratzen verzierten Ofen, in dem ein grünes Feuer brannte, und dort, im hinteren Ende des Wagens, umgeben von aufgeschlagenen Büchern und halb heruntergebrannten Kerzen, saß Raskaya Vara’ntyn auf einem mit schwarzem Fell bezogenen Sessel und schaute zu ihnen herüber.
    Ihr Haar war pechschwarz. In weichen Wellen fiel es bis weit über ihre Hüfte hinab, dass es aussah, als würden sich Schleier aus Nacht um ihren Körper legen. Sie trug ein rotes, mit Goldfäden durchwirktes Kleid, die Armreifen an ihren Handgelenken schimmerten im Schein des Feuers und bildeten einen harmonischen Kontrast zu ihrer Haut, die so dunkel war, wie Lyskian sie beschrieben hatte. Doch Mia musste nicht an geronnenes Blut denken, als sie sie ansah, sondern an den Geruch gebrannter Kastanien und das Aroma von indischem Tee. Raskayas Gesicht war von beinahe vollkommener Ebenmäßigkeit. Ihre Lippen lächelten kaum merklich, als würden sie alle Geschichten der Welt erzählen können, und obgleich feine Linien ihre Haut durchzogen, war es unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Etwas in ihr glomm in schwarzer Glut und machte sie jung, viel jünger, als sie in Wahrheit sein musste. Alles an ihr erschien weich und sanft – bis auf ihre Augen. Sie waren von einem Grün, wie Mia es noch nie gesehen hatte, und goldene Funken tanzten darin wie gefangenes Licht in einem gebrochenen Smaragd. Raskaya neigte leicht den Kopf, und als hätte diese Geste den Befehl dazu gegeben, versank die Umgebung um Mia herum und sie sah Raskaya in anderer Gestalt vor ihrem inneren Auge, sah sie als junge Frau durch die Dschungel Indiens streifen und durch die Wüsten der Östlichen Welt, sie spürte das Wasser des Schwarzen Meeres an ihren Händen und das Licht der Sterne, fühlte auch die Kälte der Wüsten, den sanften Strom der Luftperlen, die aus den Tiefen der Ozeane aufstiegen, und ihr schien es, als würde sie aus einer großen Dunkelheit hinein ins Licht getragen. Der Staub alter Städte bedeckte ihre nackten Füße, die Schatten wurden tiefer, die Farben dunkler, und plötzlich sah sie Menschen um sich herum, lachende, weinende, schlafende Gesichter, sie roch Schweiß auf nackter Haut und den süßen, schweren Duft von Sehnsucht und Verfall. Schwarze Flügel streiften ihre Stirn, und sie sah die Menschen fallen. Die Straßen brachen weg, Gebäude fielen in sich zusammen, die Welt löste sich unter diesem Flügelschlag auf. Die Menschen stürzten aus großer Höhe wie Blätter. Wunden überzogen ihre Körper, Maden krochen aus ihrem Fleisch, Mia hörte die Schreie der Sterbenden und sah einen lichtlosen Himmel über sich. Krähen zogen darüber hin wie Fetzen aus Papier im Wind, und sie spürte ein Entsetzen in sich, eine Hingabe und einen Schmerz, die nicht die ihren waren und sie vielleicht gerade deshalb umso heftiger durchpulsten. Die Menschenkörper zerrissen, Blut tränkte die Luft. Mia fühlte es warm auf ihrer Haut, und sie

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