Grim
auf den Sessel. Mit Befremden bemerkte Mia, dass Raskayas nackte Füße nur zwei Zehen mit langen, gebogenen Nägeln hatten wie bei einer Ziege. Sie warf Lyskian einen Blick zu, die Anspannung auf seinen Zügen war greifbar, doch als er ihr zu dem Sessel folgen wollte, hielt Raskaya ihn zurück. »Seid vorsichtig«, raunte sie und sah ihn von unten herauf an wie einen Schüler, der kurz davorstand, die falsche Antwort zu geben. »Es gibt Feuer, die selbst ein Wesen wie Euch verbrennen können. Stört mich nicht, sonst könnte es böse enden.«
Lyskians Augen hatten sich tiefschwarz verfärbt, doch er blieb stehen, wo er war, während Mia sich auf dem Sessel niederließ. Das Fell war eiskalt. Raskaya setzte sich vor ihr auf einen Hocker. Sie waren sich so nah, dass Mia das, was sie zuvor als Fältchen gesehen hatte, nun als feine Risse wahrnahm – ein in uralten Stein gemeißeltes Gesicht.
»Zeige mir die Maske«, sagte Raskaya ruhig. »Zeige sie mir, wie sie dir begegnete – und so, wie du es gelernt hast bei deinem Feenlehrer. Ich muss sehen, was du gesehen hast. Nur dann werde ich dir helfen.«
Mia nickte und senkte den Blick. Die Kälte des Sessels zerrte an ihrer Konzentration, doch sie zwang sich, an ihre Mutter zu denken, an Josi, an Grim, Remis und die Schattenflügler – und an Theryon, der ihr beigebracht hatte, ihre magische Kraft zum Zeichnen zu nutzen. Die Kälte wich aus ihren Gliedern, und als sie die Hand hob und zu zeichnen begann, da schien es ihr, als würde die Wärme ihrer Magie aus ihr herausfließen, um sich in den Linien ihres Bildes zu sammeln, die in hellem Licht erstrahlten. Lodernd brachen die Flammen aus den Augen des Minotaurus, sein Blick umfasste Mia mit Härte, und für einen Moment schien es ihr, als würde sie ihm tatsächlich gegenüberstehen. Wieder sah sie seine hochgewachsene Gestalt, spürte die Furcht vor seiner Erscheinung – und das Erstaunen, als er kaum merklich den Kopf neigte und sie auf diese seltsame Weise anschaute.
Das Lächeln Raskayas durchdrang das Bild wie ein Traum, doch nur kurz. Dann hob sie die Hände und kaum, dass sie sie auf die Linien der Zeichnung legte, floss die Magie in sie hinein. Es war, als würde Raskaya ihr die Kraft aus dem Leib ziehen, und gleichzeitig fühlte sie, wie Raskaya über die Linien der Zeichnung in sie hineinfuhr, in ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihr Ich. Ja, Raskaya glitt in die Zeichnung hinein und im selben Moment auch in Mia, und diese spürte, wie die Kälte sie erneut ergriff. Sie sah Bilder in sich auftauchen, die Gestalt eines Dämons, der in weißen Flammen stand, dann einen weiteren, mit Löwenkopf und gewaltigen Pranken, einen Vampir mit aschgrauer Haut, einen Gargoyle, dessen Schwingen ihn durch Schatten und Feuer trugen, einen Mantikor über den Dächern einer uralten Stadt, auf einem Feld liegend, in den Katakomben der Welt herumirrend. In rasendem Tempo flammten diese Bilder in ihr auf, sie hörte Namen in sich widerklingen, und wusste, dass es die Besitzer der Maske waren, die sie sah, all jene, die sie nach Bhaal’vrion getragen und ihre Macht genutzt hatten. Doch gleich darauf wurden die Bilder stumpf, sie verschwammen zu einem leblosen Tunnel, und die Kälte in Mia wurde so übermächtig, dass sie kaum noch Luft bekam. Raskaya irrte durch ihre Gedanken, Mia fühlte sie wie ein lähmendes Gift in ihren Gliedern, und sie spürte, wie sie ihren Empfindungen nachjagte, als wären es Tiere im Unterholz eines Waldes. Heftig fuhr sie zusammen, als Bilder von Grim in ihr auftauchten, von Lucas, von Jakob, sie wollte sie schützen, doch sie konnte nichts vor Raskaya verbergen. Hilflos musste sie zusehen, wie diese sich die Bilder aneignete, wie sie fühlte, was Mia gefühlt hatte, und plötzlich inmitten der flammenden Bilder innehielt. Sie riss die Arme zurück, ihr Schrei peitschte als glühender Hieb über Mias Körper, und Raskaya lachte, bis die Risse ihrer Haut auseinanderklafften und grünes Licht daraus hervorbrach. Ihre Augen brannten in loderndem Feuer, ihre Haare umflossen sie wie unter Wasser, und als sie die Arme hinabriss, kroch Nebel aus den Schatten ringsum und hüllte Mia ein.
Zäh schlang er sich um ihre Kehle, sie spürte den Schreck durch ihren Körper rasen. Sie war im Nebel des Minotaurus, der sie von allem trennte und sie auf sich selbst, ihre eigenen Ängste, zurückwarf. Wie von ferne hörte sie Raskaya lachen, die in unermesslicher Gier den Frost des Nebels schürte und Mia die Kraft aus
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