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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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ihm zugefügt hatte und die noch immer als tiefer Riss in seinem Fleisch klaffte, war nur eine unter vielen.
    Seraphin blieb vor ihm stehen, und Grim konnte trotz eingehender Prüfung keinen Spott in seinen Augen erkennen. Vielmehr sah er Erschöpfung darin, eine tiefe und haltlose Traurigkeit, und … Freude? Grim runzelte die Stirn. Hatte der Kerl etwa vergessen, wer es gewesen war, dem er die Niederlage und seinen Beinahe-Tod im Dorn Ghrogonias zu verdanken hatte? Er presste die Zähne aufeinander. Er hatte nichts dagegen, Seraphins Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, sobald er sich von diesen verfluchten Bannschnüren befreit hatte.
    »Du erinnerst dich«, sagte Seraphin und verstärkte sein Lächeln. »Und das, obwohl ich in letzter Zeit nicht unbedingt in Form bin. Das freut mich.«
    Grim schnaubte verächtlich. »Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, wurdest du von der Schwarzen Flamme gefressen. Der Anblick ist dir leider entgangen, aber vielleicht glaubst du mir, wenn ich sage: Du sahst nicht unbedingt besser aus als jetzt.«
    Seraphin betrachtete ihn schweigend, und als er sein Lächeln wie eine Maske fallenließ, musste Grim an den Schmerz denken, der in Seraphins Blick gestanden hatte bei ihrer letzten Begegnung im Saal der Könige, und an die Sehnsucht darin, und es kostete ihn seine gesamte verbleibende Kraft, den Zorn nicht von seinem Gesicht weichen zu lassen.
    »Ja«, sagte sein Bruder leise. »Ich weiß, dass du es kaum glauben kannst, mich zu sehen. Du kannst nicht glauben, dass es mich immer noch gibt, nach allem, was geschehen ist. Ich verstehe dich gut. Es geht mir nicht anders. Die Schwarze Flamme hat mich gefressen – doch sie hat schlampig gearbeitet. Ich habe ihren Biss überwunden. Und jetzt bin ich hier, in dieser Welt aus Phantasie und Farben, und ich werde sie nur noch ein einziges Mal verlassen. Es ist anstrengend für mich geworden, überhaupt da zu sein, verstehst du das? Diese Welt ermöglicht mir eine erträgliche Existenz, denn sie ist so viel sanfter als die Wirklichkeit, aus der du zu mir gekommen bist. Wie gemacht für Wesen wie uns – Wesen, die nicht wissen, was Heimat bedeutet.« Er hielt inne, forschend glitt sein Blick über Grims Gesicht. »Es kann so schmerzhaft sein, das Licht des Mondes auf der Haut zu spüren, das Flüstern von Gras zu hören oder das Salz der Meere auf den Lippen zu schmecken. Es kann so entsetzlich sein, sich selbst ansehen zu müssen und daran nicht zugrunde zu gehen. Verstehst du mich?«
    Grim schwieg. Er war heilfroh, sich in Gargoylegestalt zu befinden und jede Regung hinter seiner steinernen Maske verbergen zu können. Hatte er jemals so mit Seraphin gesprochen? Er kannte die Antwort und hörte den Jungen in sich lachen, hell und klar, das Kind, das auf dem Grund seines Ozeans lag und ihn nun ansah mit diesem leichten Lächeln, das auch Seraphin oft auf seinen Lippen getragen hatte. Ja, Grim verstand seinen Bruder, er verstand ihn so gut, dass ihm die Worte fehlten, und nun, da sie sich gegenüberstanden, nun, da der Zorn langsam von seinen Zügen rutschte und er sich dennoch nicht verwundbar fühlte, da nickte er, langsam und kaum merklich. Das Lächeln auf Seraphins Lippen wurde stärker, doch nur für einen Moment. Es war, als fehlte ihm selbst für diese kleine Geste die Kraft, und als er sich abwandte, nutzte Grim die Gelegenheit, seine verfluchte Sentimentalität zu durchbrechen.
    »Was hast du vor?«, grollte er, doch Seraphins Blick traf Grim wie eine Ohrfeige.
    »Du schaust mich an«, erwiderte sein Bruder kaum hörbar. »Aber du siehst mich nicht. Glaubst du, dass das alles mein Werk ist? Glaubst du wirklich, dass ich mehr wäre in diesem Spiel als eine Figur, ein Werkzeug unter vielen?« Er schüttelte den Kopf, und obwohl Grim sich vor diesem Gefühl verschließen wollte, überkam ihn etwas wie Scham. Doch er ließ dieser Empfindung keinen Raum.
    »Du hast die Maske des Bhaal in deinen Besitz gebracht«, sagte er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme den Boden dieses vermaledeiten Schlosses zum Zittern brachte. »Du hast die Menschen von Paris entführt, unter ihnen Cécile und Josi Lavie, Mias Familie, und … «
    Ein Flackern ging über Seraphins Gesicht wie eine freudige Erinnerung. »Mia«, rief er aus und lachte kurz. »Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergesehen. Du solltest sie mit dir nehmen, Grim, nimm sie mit dir in die Unterwelt, weit, weit hinab. So könnt ihr dem entgehen,

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