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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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einmal Grim ihren Gedanken folgen konnte. Nie begegnete er ihr mit der Kälte und Überheblichkeit, die ihn sonst auszeichnete, und sie dachte daran zurück, wie sie erstmals etwas für ihn gezeichnet hatte. Aus einer Laune heraus hatte sie das getan, und sie erinnerte sich an sein Gesicht, als sie ihm davon erzählt hatte. Du hast ein Bild für mich gezeichnet? , hatte er gefragt und mit gespielter Arroganz gelächelt. Für mich, den Kunstkritiker, der mit Vorliebe die Hoffnungen junger Nachwuchstalente mit einem einzigen Blick vernichtet? Mir, meine Liebe, willst du ein Bild von dir zeigen? Mia hatte überlegt, ob sie wie üblich ebenso ironisch antworten sollte, und sich dann in einem plötzlichen Impuls dagegen entschieden. Ich vertraue dir , hatte sie gesagt, und Lyskian hatte sie beinahe erschrocken angesehen. Dann hatte er gelächelt, rätselhaft dieses Mal und traurig. Menschenkind , hatte er gesagt, das solltest du nicht tun.
    Mia war sich der Gefahr bewusst, die der Umgang mit ihm bedeutete. Lyskian war ihr Freund und seit langer Zeit Grims Gefährte, doch er war auch der Prinz der Vampire, und sie wusste, dass er seit ihrer ersten Begegnung nach ihrem Blut verlangte, ganz gleich, wie sehr er sich gegen diese Regung wehren mochte. Er hatte Jahrhunderte überlebt, indem er Menschen getötet hatte, und auch wenn sie wenig von seiner Vergangenheit wusste, so waren die Abgründe, die er in sich barg, doch allzu offensichtlich. Zu genau erinnerte sie sich an die Keller der Vampire, in die Grim sie nach ihrem Kampf gegen die Schneekönigin mitgenommen hatte, zu deutlich nahm sie noch immer den Blutgeruch wahr, der in die uralten Gemäuer gezogen war wie ein Fluch, und zu häufig hörte sie von Festen in den Villen der vampirischen Gesellschaft von Paris, die in der Anderwelt aufgrund ihrer Grausamkeit und Dekadenz einen legendären Ruf genossen. Sie wusste, dass die Vampire menschliche Nähe für gewöhnlich mieden, wenn sie nicht töten wollten, und oft genug war es vorgekommen, dass Lyskians Augen sich in ihrer Gegenwart in tiefem Schwarz verfärbt hatten – immer dann, wenn sie ihm in naiver Unbefangenheit zu nah gekommen war, ohne zu bedenken, was plötzliche körperliche Nähe für ihn bedeuten konnte. Manchmal schien es ihr, als würde Lyskian sich absichtlich in derartige Situationen bringen, um seine Grenzen auszuloten und sich immer wieder aufs Neue zu bezähmen. Und auch, wenn diese Momente seltener geworden waren, kannte sie ihn doch gut, diesen Ausdruck auf seinen Zügen, der ihm etwas Raubtierhaftes verlieh und die Gier erahnen ließ, die unter der menschlichen Maske in Ketten lag. Er war ein Vampir, er war ein Verführer und ein Mörder. Das hatte sie von Anfang an gewusst, und sie durfte es niemals vergessen.
    Ihr Bild hatte sie ihm trotzdem gezeigt. Es war ein roter Vogel in einem schwarzen Himmel gewesen, der auch eine Blume hätte sein können oder ein Tropfen Blut. Es war nicht ihre beste Arbeit, aber Lyskian hatte lange davor gestanden, geschwiegen und sich schließlich zu ihr umgesehen und langsam genickt. Das ist etwas , hatte er gesagt, mehr nicht. Aber Mia hatte in den vergangenen Monaten genügend Ausstellungen, Galerien und Kunsthallen mit ihm besucht, um zu wissen, dass es kaum ein größeres Lob aus seinem Mund geben konnte.
    Kurz darauf hatte er ihr das Atelier besorgt, nachdem er zuvor vergebens versucht hatte, sie zu einem hellen, luxuriösen Studio zu überreden. Sie musste noch immer lachen über sein Gesicht, als er das Zimmer des armen Poeten , wie er die Dachkammer nannte, mit ihr zusammen betreten hatte. Dennoch hatte er sie ihr gezeigt, wohl wissend, dass es genau das war, was sie suchte, und anschließend alles getan, um sie bei ihren Plänen zu unterstützen. Mit seiner Hilfe hatte sie einen Galeristen gefunden, der ihre erste Vernissage organisiert und sie erfolgreich in die Kunstszene der Stadt eingeführt hatte. Eine ganze Weile war sie besonders in der High Society, in der Lyskian bevorzugt verkehrte, als Geheimtipp gehandelt worden, und spätestens seit ihrem Selbstporträt Noir galt sie als vielversprechende junge Künstlerin der Szene.
    Langsam ging sie an ihren Bildern vorüber und betrachtete sie, so wie sie früher die Zeichnungen von Lucas studiert hatte. Und wie damals fühlte sie, wie etwas von ihr in die Bilder hineingezogen wurde, während sie umgekehrt etwas daraus für sich mitnahm. Es war ein Tauschgeschäft, bei dem beide Seiten gewannen – nicht

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