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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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finden, der bis hinauf zu den Dächern reichte und dastand wie eine Wand. Doch sie hörte die unterschwellige Furcht in ihren Stimmen, sie konnte ihre Panik spüren wie feine Schnitte, und gleichzeitig fröstelte sie hinter der unsichtbaren Wand, die sie umgab. Die Menschen würden keine Erklärung finden. Dieser Nebel war wie eine dünne Haut, hinter der sich eine andere Welt verbarg, geisterhaft und von der düsteren Schönheit alter Märchen, die nicht für Kinder gedacht waren, sondern die die Wahrheit in sich trugen – eine Wahrheit, die wie ein Schwert durch Fleisch und Sehnen gleiten und töten konnte. Mia bemühte sich, Ruhe zu bewahren, aber ihr Magen zog sich zusammen, als sie an ihre Mutter und Josi dachte. Ihre Wohnung lag in diesem Nebel.
    Sie beugte sich über die Absperrung. »Was ist passiert?«, rief sie einem Polizisten zu, der in ihrer Nähe stand. Er war noch jung, Anfang zwanzig vielleicht, und offensichtlich fiel es ihm schwer, die Aufregung hinter einer Maske der Professionalität zu verbergen.
    »Es hat eine Karambolage gegeben«, erwiderte er. »Mit einigen Leichtverletzten und Blechschäden und … «
    »Aber wie es im Nebel aussieht, wisst ihr nicht!« Ein Mann mit dichtem Backenbart und lockigem braunen Haar, der bisher zusammen mit einem Jungen von etwa vierzehn Jahren auf der Kreuzung vor seinem Pick-up gestanden und telefoniert hatte, kam in langen Schritten auf ihn zu. Die Fahrertür seines Wagens war eingedrückt, ein blutiger Striemen zog sich über seine Wange, doch das schien er nicht zu bemerken. Aufgebracht deutete er mit seinem Handy in den Nebel. »Dort liegt der Unfallherd, das ist ganz offensichtlich, mein Sohn und ich haben die Ambulanzen gesehen, die ihr mitten hineingeschickt habt! Sie kamen nicht wieder heraus, nicht wahr? Genauso wenig wie die zwei Autofahrer, die nachsehen wollten, was im Nebel los ist!«
    Mia schauderte, als sie den Polizisten ansah. Die Fassade bröckelte. Er hatte Angst, nicht vor dem Mann, der sich vor ihm aufbaute, sondern vor dem, was er nicht begriff – vor dem Nebel, der die Straßen verschluckt hatte wie ein gefräßiger Schlund.
    »Bitte bewahren Sie Ruhe«, sagte er, doch es klang wie ein schlecht gelernter Text. »Wir wissen nicht, was … «
    »Jetzt hören Sie mal zu!« Der Mann griff nach dem Kragen des Polizisten, doch dieser wich einen Schritt zurück und ballte die Faust. »Meine Frau und meine Tochter sind da drin, ich kann sie telefonisch nicht erreichen! Ich weiß nicht, wie es ihnen geht! Ich werde … «
    In diesem Moment schrie eine Frau in der Menge und versuchte, über die Absperrung zu klettern. Schnell eilte der Polizist zu ihr, doch Mia achtete kaum darauf. Sie beobachtete den bärtigen Mann, sah die Empfindungen, die über sein Gesicht huschten, und dann die Entschlossenheit, mit der er sich umdrehte und zu seinem Auto ging. Eindringlich sprach er auf seinen Sohn ein, dessen Widerspruch sofort mit energischer Handbewegung beiseitegewischt wurde, und holte ein Seil von der Ladefläche. Er knotete es sich um den Leib und gab das freie Ende seinem Sohn. Wachsbleich nickte der Junge, als der Mann sich abwandte und auf den Nebel zutrat. Der Polizist war mit der um sich schlagenden Frau beschäftigt, er bemerkte nicht, wie Mia über die Absperrung kletterte und dem Mann hinterherlief.
    »Warten Sie!«, rief sie. »Sie wissen nicht, was das für ein Nebel ist, Sie … «
    Doch er hielt nicht inne, denn schon waren zwei Polizisten auf ihn aufmerksam geworden und eilten ihm entgegen. Er warf Mia einen Blick zu, in dem sich sein Zorn, aber auch die Sorge um seine Familie spiegelte. Dann fuhr er herum und lief in den Nebel hinein. Mia erreichte seinen Sohn, der das Seil so festhielt, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Die Polizisten blieben ebenfalls stehen, für einen kurzen Moment schien es Mia, als würde jedes Gespräch unterbrochen, jedes Geschrei, sogar das Blaulicht, das unheilschwanger über die Häuserwände flackerte, erstarrte. Angespannt schaute sie in den Nebel, dorthin, wo der Mann verschwunden war. Das Seil erzitterte und fiel plötzlich zu Boden.
    Mia stand da wie vom Schlag getroffen, doch nur kurz. »Schnell!«, rief sie und zerriss die unwirkliche Stille, die sich über die Szene gelegt hatte. »Helft mir!«
    Sie packte das Seil, das der Junge noch immer in der Hand hielt. Gemeinsam mit den Polizisten zogen sie daran, sie war fast erleichtert, als sie den Widerstand am anderen Ende spürte. Sie hatte vor

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