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Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gelang ihm nicht. Ihm fehlte die Fantasie.
    Über ihm bellte Stone einmal kurz auf. Allzu verschwenderisch war er nicht gerade mit seinem Gebell. Es bedeutete, Stan war aufgestanden und würde in ein paar Minuten die Gitarre warm spielen. Keine unangenehme Aussicht, denn Stan passte seine Melodien immer sorgfältig der Tageszeit an. Nichts Unbotmäßiges an einem späten Sonntagmorgen.
    Musik. Carol-Anne würde auf dem Fuße folgen.
    Rat-a-tat-tat, machte es an seiner Tür. Er machte auf. Carol-Anne sagte Guten Morgen und trat ein, angetan mit einem grell leuchtenden korallenroten Kleid, das zusammen mit dem Sonnenlicht ihr rotes Haar und den ganzen Raum in Brand setzte. Sie ließ sich aufs Sofa fallen, von dem er soeben aufgestanden war, und zog eine Sandale aus.
    Jury überlegte, ob in dieser Handlung wohl eine versteckte, symbolische Botschaft lag. Nein. Carol-Anne hatte eine Pediküre im Sinn. Sie schraubte ein Fläschchen mit grell pinkfarbenem Nagellack auf »Sie sehen aus wie das vom Aussterben bedrohte Korallenriff vor Key West.«
    »Ist das ein Kompliment? Oder soll das heißen, ich seh aus wie zerkrümelte Felsbrocken?«
    Jury hatte sich in seinen Ohrensessel gesetzt und sagte: »Ich glaube, unsere Umweltschützer würden weder Sie noch ein Korallenriff als zerkrümelte Felsbrocken bezeichnen.«
    Die Zehen fest gegen die Kante seines Beistelltischchens gestützt, trug sie mit kleinen Tupfern den Nagellack auf und sah zu, wie sich Jury die Schuhe zuband. »Sie gehen aus? Heute ist doch Sonntag.«
    »Sonntag ist Ausgehtag. Vielleicht am ehesten von der ganzen Woche. Die Leute sind tatsächlich von Mittag bis in die Nacht in den Pubs.«
    Das Kinn auf das hoch gestellte Knie gestützt, fragte sie: »Sie gehen also in den Angel?« »Nein.« »Wohin dann?«
    Jury unterbrach sein Schuhbinden, um der sanften Musik zu lauschen, die durch die Zimmerdecke drang. Er seufzte. »Er ist großartig.«
    »Stan? Wir gehen nämlich in den Angel.« Sie hatte einen Fuß heruntergenommen und den anderen hochgestellt. »Wo gehen Sie denn hin?«
    »Ach, ich weiß noch nicht.«
    »Hm, gestern haben Sie ja ziemlich katermäßig ausgesehen, als Sie nach Hause kamen.«
    »Was Sie nicht sagen!« Jury überlegte, ob er irgendwas zum Frühstück im Kühlschrank hatte und sehnte sich zum zigsten Mal nach einer Zigarette.
    »Also, wo waren Sie? Ich meine, außer da, wo die Kellnerin war?«
    Er lächelte. »Hmm, hier und da.«
    Sie unterbrach ihre Lackiererei. »Dann brauchen Sie ein bisschen Nachkaterstoff.«
    Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Ich habe keinen Kater, obwohl ich zugebe, dass ich mich gestern Abend sehr bemüht habe, mir einen zuzulegen.«
    »Ich rede nicht von Alkohol.« Sie hatte den Kopf wieder gesenkt und bearbeitete ihren kleinen Zehennagel. »Ich meine, Sie sollten da wieder hingehen.«
    »Wieder hingehen?«
    »In die City, dahin, wo Sie gestern waren.« Sie begutachtete ihren nackten Fuß, die frisch bemalten Nägel. »Aber nicht in den Coffeeshop«, fügte sie hinzu. »Zu viel Koffein tut einem nicht gut.« Einige andere Dinge auch nicht, dachte Jury und lächelte.
6
    Vielleicht hatte sie Recht, obwohl dieser Ratschlag aus Carol-Annes Mund ein wenig seltsam klang, die sich ihre Prophezeiungen, und mithin alles, was auf Jurys Zukunft hindeutete, normalerweise für das Starrdust aufhob, wo sie mittels einer Kristallkugel wahrsagte. Oder vielmehr mittels ihrer blaugrünen Augen. Der Besitzer Andrew Starr war begeistert: Es kam sonst nicht oft vor, dass Männer das Starrdust frequentierten, das sich vornehmlich mit der Erstellung astrologischer Himmelskarten befasste, und Männer wollten ja nicht zugeben, dass sie an Astrologie
    glaubten. Inzwischen kamen sie jedoch in Scharen.
    Sonntag war ein guter Tag für einen ungestörten Spaziergang im Finanzdistrikt. Jury fragte sich, ob Mickey vielleicht in seinem Büro war, ob er die Wochenenden dort verbrachte statt zu Hause, wo er seine Todgeweihtheit ständig in den Gesichtern seiner Familie reflektiert sah. Selbst wenn Mickey seine Krankheit einmal fünf Minuten vergessen konnte - sie schafften es nicht, jedenfalls nicht in denselben fünf Minuten.
    Dies war wohl auch der Preis, dachte Jury, den - Ironie des Schicksals! - unheilbar Kranke zu zahlen hatten: Ihre Mitmenschen wollten sie nicht um sich haben und zwar aus genau dem Grund, weshalb sie es eigentlich sollten. Sie hatten Angst vor dem eigenen Sterben, wollten nicht daran erinnert werden. Neben dieser

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