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Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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offensichtlichen Feigheit gab es unterschwellig aber noch andere, etwas kompliziertere Gründe. Jedenfalls würden er und Mickey sich oft sehen, denn es gäbe Fragen, Probleme, Dinge zu berichten.
    Jury war an der U-Bahnstation Holborn ausgestiegen, die High Holborn entlanggegangen und vor den Lincoln's Inn Fields in Betrachtung versunken stehen geblieben. Er musste an den Dichter Chidiock Tichbourne denken, der in die verschwörerischen Kreise um die Ermordung von Königin Elizabeth der Ersten verstrickt war. Wenngleich in jeder Hinsicht unschuldig, wurde er hingerichtet. Jury hatte schon immer gefunden, dass jenes von ihm verfasste Gedicht eine der traurigsten Schlusszeilen hatte, die ihm je untergekommen waren.
    »Da lebe ich in einem Augenblick, im nächsten ist mein Leben schon verwirkt.« Als er es geschrieben hatte, war Chidiock Tichbourne siebzehn Jahre alt gewesen. Kurz darauf war er hingerichtet worden. Mit siebzehn.
    Er hatte Mickeys Schnappschüsse dabei, weshalb, wusste er eigentlich auch nicht. Ab und zu zog er den einen oder anderen hervor, betrachtete ihn ein paar Augenblicke eingehend und überlegte, ob Mickey doch Recht gehabt hatte. Er fragte sich, weshalb ihm so sehr daran lag, dieses Rätsel zu lösen. »Mir bleibt nicht genug Zeit.« Bleibt einem nie, dachte Jury. Natürlich wusste er, wieso er die Bilder mitgebracht hatte: in ihnen war das Rätsel verschlossen.
    Er schlenderte die Holborn Viaduct entlang in die Newgate Street, vorbei an St. Paul's und nach Cheapside hinunter, wo es ihm immer gefallen hatte und er gern damals im siebzehnten Jahrhundert durch geschlendert wäre, als dort noch ein riesiger, lebhafter Markt gewesen war. Es gefiel ihm wegen seines Londoner Flairs und weil jede Zunft dort ihr eigenes Revier hatte: die Bäcker in der Bread Street, die Fischhändler in der Friday Street, die Melker in der Milk Street, in der er jetzt stehen geblieben war.
    Er überlegte, ob er sich in dem vor ihm liegenden Pub namens Hole in the Wall einen Drink genehmigen sollte. Auf diesem Grundstück hatte sich einst eine von diesen Anstalten befunden, »Schuldgefängnis« hießen sie damals, wo sich arme Teufel je nach Zahlungskraft ein »Obdach« verschaffen konnten. Wer nicht arm war, bekam das Beste geboten. Die Ärmsten hausten jedoch im finstersten Verließ, wo die übel riechende Luft sich nur dann in frische verwandelte, wenn man durch ein Loch in der Wand etwas frische Luft hereinließ. Hier wurden die Passanten auch von den Gefangenen um Essen angebettelt. Hatte es jemals ein korrupteres System als das Gefängnissystem gegeben? Jury fiel keines ein. Er beschloss, sich nun doch keinen Drink zu genehmigen, sondern in die Bread Street einzubiegen.
    Nicht weit von der Ecke Cheapside blieb er erneut stehen. Hier war, falls ihn seine lückenhaften Ortskenntnisse nicht im Stich ließen, fast geheiligte Erde, denn hier hatte bis zur großen Feuersbrunst von 1666 die Mermaid Tavern gestanden. Er betrachtete das Gebäude, das heute dort stand, und stellte sich vor, was dort einst gewesen war, wie die Mermaid Tavern wohl ausgesehen hatte. In seiner Vorstellung trat er ein und fand eine noch verrauchtere, ungebärdigere und mit mehr wildem Gelächter und lautem Geschrei nach Bier erfüllte Lokalität vor als das Angel, sein Pub in Islington. Frauen waren nicht zu sehen, keine einzige, abgesehen von der Schankwirtin, der die Brüste aus dem locker geschnürten Leibchen quollen.
    Und da seine Fantasie ihn im ersten Teil des siebzehnten Jahrhunderts abgesetzt hatte, saßen sie dort nun alle um den Tisch versammelt. Männer, die scharfsinniger und klüger, weniger verwirrt und vernebelt waren als der Rest der Gäste: Ben Jonson, Shakespeare, Donne, Beaumont und Fletcher, John Webster, Walter Raleigh (der diesen »Klub« gegründet hatte) und in einer düsteren Ecke auch Dr. Johnson, der als Einziger aufrecht dastand für den Fall, dass er einen schnellen Abgang machen musste, und der auch der Einzige war, der damals noch nicht geboren war.
    Jury fand es bemerkenswert, dass sich alle diese Ikonen der Literatur in einem Raum versammelt hatten und um einen Tisch herum saßen. Er wollte wissen, was sie dachten. Also erzählte er ihnen die Geschichte mit den Fotos. Keiner beachtete ihn jedoch im Geringsten, sie lachten und spöttelten nur die ganze Zeit
    »So weit ist's mit den Bobbys also gekommen! Und wenn man sämtliche Straßenlaternen Londons anzündete, wäre diesem
    Kerl nicht heimzuleuchten, was?«,

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