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Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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könnte auch nach Newcastle fahren und versuchen, Auskunft von ihr zu bekommen. Ihr Mann war der enormen Arbeitslosigkeit in jener Gegend zum Opfer gefallen (»Nietenbude« nannten sie dort das Arbeitsamt), und seine Cousine hatte aus irgendeinem rätselhaften Grund Jury mit dafür verantwortlich gemacht, denn er war ja Superintendent bei New Scotland Yard. Wieso sollte Richard erfolgreich sein und ihr Bert nicht?
    Er machte der Kellnerin ein Zeichen, wozu er mit dem Finger erst über dem Whiskyglas, dann über der Kaffeetasse einen Kreis beschrieb. Mit einem Schuss Whisky schmeckte der Kaffee erstaunlich gut, aber was schmeckte damit nicht gut?
    Seine Cousine hatte vier Kinder. Er wusste nicht mehr, wie alt sie waren, denn er hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war auch an Weihnachten gewesen. Er hatte sie gar nicht besuchen wollen. Nicht weil sie ihn mit ihren Sorgen belasten würde, sondern weil er nur höchst ungern daran erinnert werden wollte, dass ausgerechnet sie seine einzige Verwandte auf der ganzen weiten Welt war. Er beneidete Wiggins um seine Schwester in Manchester.
    Die Kellnerin kam mit frischem Kaffee und Whisky. Sie schien sich zu freuen, dass Jury hier eingekehrt war und ihre Zuvorkommenheit ein wenig geschätzt wurde. Jury lächelte sie bestätigend an, obwohl ihn der Whisky eigentlich, was bei Whisky üblicherweise der Fall ist, noch niedergeschlagener und grüblerischer machte und an unschöne kleine Kindheitsszenen denken ließ.
    Er sah sich mit acht bis zehn weiteren Kindern an einem großen Esstisch sitzen, an dessen Kopfseite die alte Dame aus Oxfordshire (oder war es Devon?) thronte und alle dazu ermahnte, sich beim Essen wie feine kleine Damen und Herren zu benehmen. Sie hatte soeben das Tischgebet gesprochen, und Jury hatte beim Zuhören den Teller voll bleicher Wurst und Sauerkraut angestarrt, bei dem ihm wie immer schlecht wurde. Er würde sich übergeben müssen, wenn er es aß.
    »Richard isst nicht, Richard isst nicht, Miss -«
    Wer verspottete ihn da?
    »Isst nicht, isst nicht«, tönte die Stimme weiter, und der gesamte Tisch stimmte ein - »Richard isst nicht, isst nicht.« Gewaltiges Löffelklappern schwoll zu voller Lautstärke an, bis die alte Dame schließlich mit der Hand auf den Tisch hieb, um sie zum Schweigen zu bringen (wozu sie ziemlich lange gebraucht hatte) und ihn höchstselbst zum Essen aufforderte. Wer war sie eigentlich? Seine Tante war es nicht, die ihn bei sich und dem Onkel aufgenommen hatte, nachdem seine Mutter bei der Bombardierung ihres Wohnblocks umgekommen war.... Nein... Damals hatte Jury mit Kopf und
    Schultern kaum über den Tisch gereicht. Er musste also noch sehr klein gewesen sein.
    Sein Blick fiel auf die mittlere Aufnahme, die von der Evakuierung. So viele Kinder! Er meinte sein Kindergesicht zu sehen. Das Kind blickte über die Schulter einer unbekannten Frau, während sie es davontrug.
    Zwei oder drei andere Jungen waren auch noch dabei gewesen und ein Mädchen - er erinnerte sich noch lebhaft an ihr leuchtendes Haar. Sie war älter als die anderen, vielleicht neun oder zehn, und schien die Anführerin zu sein. Sie marschierten gerade über ein Feld. Die überall aufgestellten Schilder konnte er zwar nicht lesen, doch erkannte er an dem Totenschädel und den gekreuzten Knochen auf einem davon, dass es ein gefährlicher Ort war. Das Mädchen hatte ihnen gesagt, es seien lauter Warnschilder, GEFAHR stünde darauf. Das Feld sei voller Bomben, die noch nicht hochgegangen waren, sagte sie.
    »Gehen wir ans Meer«, schlug sie vor.
    Dort lagen sie in der Ferne, das unerbittliche graue Meer und die niedrigen Klippen. Oxfordshire hatte es nicht sein können, sie mussten also im West Country sein - in Devon oder Dorset oder vielleicht in Cornwall. Er fiel zurück, blieb vor einem schiefen Zaun aus Drahtgeflecht und Holz stehen, der in einem langen Stück heruntergebrochen war. Der sollte einen eigentlich von der Gefahrenzone fernhalten, doch sie marschierten einfach darüber. Dort stand er, klein und stämmig, während die anderen zurückschrien: »Richard ist ein Angsthase!«
    Er überlegte, wieso seine Mutter ihn bloß dort zurückgelassen hatte. Überall lauerten Gefahren - die Stoppelfelder, das Meer, der lange Esstisch, die grauen Würste, die Spiele. Das rothaarige Mädchen.
    Insgeheim hatte er sie wohl beneidet. Sie schien vor nichts Angst zu haben, nicht vor dem Bombenfeld, nicht vor der alten Dame, der das Haus gehörte.

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