Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
Gin zu holen und mit ihrem Arbeitgeber herumzustreiten, der sich an der stillen Lektüre der Zeitung von Sidbury ergötzt hatte. »Und sie war wo im Haus?«, fragte Joanna.
»Im Salon, dem einzigen Raum, in dem noch Möbel standen. Jedenfalls wurde Mrs. Gault dort gefunden, auf dem Boden liegend.«
»Blut?«, fragte Trueblood volltönend, als wäre er soeben aus Transsylvanien eingeritten.
»Nein. Sie war erstickt worden.«
»Wie?«, wollte Joanna wissen. »Mit einem Kissen?«
»Offenbar hatte ihr jemand den Brustkorb eingedrückt.«
»Wer hat sie gefunden?«, fragte Trueblood. »Die Polizei?«
»Nein. Ein kleines Mädchen, das in der Nähe wohnt und gern in dem alten Wendy-Haus auf dem Grundstück spielt. Sie wollte sich im Winterhaus ein Glas Wasser holen, ging in den Salon und fand die Leiche.«
Als wäre diese Mitteilung regelrecht schmerzhaft für sie, hielt Joanna sich die Hand an die Stirn. »Armes Würmchen«, sagte sie.
»So furchtbar würmchenhaft ist die gar nicht. T rotzdem war es bestimmt ganz schön schrecklich. Jedenfalls rannte sie gleich los, um es ihrer Tante zu sagen, und die rief dann die Polizei.«
»Inszeniert«, sagte Trueblood. »Also wirklich.« Er ließ ein glucksendes Gelächter ertönen.
»Was?«, fragte Melrose.
»Na, wie Sie ja bereits sagten beziehungsweise wie Superintendent Jury sagte: sieht aus und klingt wie inszeniert. Dass Mum, Junge und Hund verschwinden, ist ja schon mal sehr komisch. Aber dann fast ein Jahr später ermordet zu werden? Und auch noch ausgerechnet dort? Das ist doch bis aufs i-Tüpfelchen choreographiert, nicht?« Er nippte an seinem Drink.
Melrose biss sich auf die Lippe. »Schon möglich. Was wiederum die Frage aufwirft: Warum?«
»Gütiger Himmel, die ganze Sache ist doch ein einziges Warum. Schon von Anfang an. Und Richard Jury ist der Antwort immer noch nicht nähergekommen. Ganz im Gegenteil, würde ich sagen. Dieser Mord vernebelt die Sache doch nur. Aber, wie ich bereits sagte, er wird es nicht lösen. Er hat sich so tief in das System eingeklinkt, und Sie wissen ja, was dieser Gödel sagte.«
»Gödel litt unter Verfolgungswahn. Er glaubte, jemand wollte ihn vergiften, also hat er sich zu Tode gehungert.«
Joanna machte ein erschrockenes Gesicht. »Wie furchtbar. Das ist ja unsäglich.«
»Diese Theorie von ihm« - Trueblood schloss die Augen und wandte das Gesicht unmerklich zur Decke empor, während er versuchte, die Theorie zusammenzukriegen - »Unvollständigkeit! Das ist es: die Unvollständigkeitstheorie. Cleveres Konzept -«
Ach, halten Sie die Klappe. Es ärgerte Melrose maßlos, dass Trueblood hier in aller Ruhe die Unvollständigkeitstheorie zusammenstoppelte.
An Trueblood gewandt, meinte Joanna: »Er mag sich ja zu Tode gehungert haben. Aber Flüssiges nahm er doch noch zu sich, oder?« Sie hob ihr Glas, um sich einen stärkenden Schluck zuzuführen.
39
Jury blieb an einer Ampel vor der U-Bahn-Station South Kensington stehen, einem äußerst verwirrenden Zusammenfluss von Autostraßen, Ampeln, Fußgängerüberwegen und kleinen Verkehrsinseln, auf die man sich flüchten konnte, um einen Zusammenstoß mit ungeduldigen Fahrern zu vermeiden, die aus drei -oder waren es vier? - Richtungen auf einen zukamen.
Während er dort stand und überlegte, wie er Hugh Gault die Nachricht vom Tod seiner Frau übermitteln sollte, kam ihm Vivi-ans Frage plötzlich wieder in den Sinn: Warum haben sie Mungo nicht mitgenommen? Was zum Teufel meinte sie damit?
Verdammt! Dass die Ampel auf Grün gesprungen war, merkte er erst, als sein Hintermann auf die Hupe drückte. Jury fuhr mit einem Ruck hoch und setzte seinen Weg entlang der Fulham Road fort. Er passierte die U-Bahn-Station Fulham/Broadway und noch so eine Todesmut heischende Kreuzung und fuhr weiter die Fulham Road hinauf. Es war eine pechschwarze Nacht, sternlos und kalt.
Als er an den Eisentoren von Fulham Palace vorbeikam, drosselte er das Tempo. Die Gartenanlage kam ihm wieder in den Sinn und was sich dort zugetragen hatte. Er sah jenen typischen knot garden mit den mittelalterlichen Kräutern vor sich, dazu die Tote, die widersinnigerweise in einem Lavendelbeet gelegen hatte. Beim Anblick der Anlage mit dem prächtigen Baumbestand - Silberlinden, Steineichen, Kastanien, Sequoien - fragte er sich, ob er je wieder einen Grund haben würde oder sich dazu durchringen könnte, zwischen diesen Bäumen und durch diese Gartenanlagen zu spazieren.
Wie schon beim letzten Mal strahlte die
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