Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
Lincolnshire gewesen, einer der dienstältesten Detectives überhaupt. Er hatte sich genau so wenig quergestellt wie Dryer. Bannen war einer der besten Polizisten, mit denen Jury je zusammengearbeitet hatte. Auch Bannen hatte fast lethargisch im Denken gewirkt, sich gemächlich langsam bewegt. Deshalb hütete sich Jury, voreilig Schlüsse über Dryers Auffassungsgabe zu ziehen.
»Ich halse Ihnen so etwas ungern auf, aber vielleicht könnten Sie Mr. Gault das mit seiner Frau sagen. Da Sie ihn ja kennen.«
»Selbstverständlich. Dazu brauchte ich allerdings noch ein paar genauere Angaben. Hugh Gault wird natürlich wissen wollen, was die Polizei weiß. Deshalb ist alles, was Sie haben -«
»Ohne Autopsie kann ich ihm auch nicht viel mehr sagen. Wir stehen erst am Anfang der Ermittlungen, wobei zunächst einmal der Frage nachgegangen werden muss, wieso um alles in der Welt sie überhaupt hier war?«
Dryer blätterte seine Notizen durch. »Laut Maklerin gehört dieses Haus einem Mann namens Benjamin della Torre. Er lebt in Italien, in der Toskana, in einem Bergstädtchen mit unaussprechlichem Namen.«
»San Gimignano«, sagte Jury. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen.
»Meine Güte, das wissen Sie also auch?«
Inzwischen wünschte Jury fast, er wüsste es nicht. »Diese Information stammt von Hugh Gaults Freund Harry Johnson.« Und von Melrose Plant, der die fehlenden Details geliefert hatte. »Torre will das Anwesen nicht verkaufen, sondern nur vermieten. Er hat dort seine Kindheit verbracht, fühlt sich dem Haus sehr verbunden. Es hat eine seltsame, ziemlich unheimliche Geschichte, eine sehr unglückliche jedenfalls - das habe ich übrigens aus zweiter Hand -«
»Von Mr. Gaults Freund.«
»Harry Johnson. Er ist sogar in die Toskana gereist -«
»Nach San Jimmy-Jimmy -?«
»Gimignano.« »Aha.«
»Johnson war dort, um Torre über das Haus auszufragen. Im Lauf der Jahre entstand so manche Geschichte über das Haus, wilde Fantasien schössen ins Kraut, möchte ich wetten. Jedenfalls dachte sich Harry Johnson, das Haus selbst hätte womöglich etwas mit dem Verschwinden von Glynnis Gault zu tun.«
»Glauben Sie das denn? Hört sich eher nach etwas aus dem Reich des Übersinnlichen an, meinen Sie nicht? Oder nach Paranoia.«
»Ja. Mir fiele es schwer zu glauben, hier sei irgendetwas am Werk -«
»Abgesehen von einem auf den Thorax gedrückten Knie vielleicht. Ich frage mich, ob es sich so abgespielt hat.«
»Nun, es lässt sich leicht behaupten, hier sei nichts Seltsames passiert, aber schließlich haben sich meine Frau und mein Sohn ja auch nicht in Luft aufgelöst.«
»Nein, da haben Sie wohl Recht«, sagte Dryer.
»Und bestimmt hat das Haus etwas mit dem Tod dieser Gault zu tun, sonst wäre sie nicht hier ermordet worden. Und auch nicht von hier verschwunden. Allerdings bringt uns das auch nicht viel weiter.«
»Bei der Leiche schon.« Dryer fuhr sich mit dem Daumennagel über die Stirn und wirkte tief verstört. »Wenn das stimmt, was ist dann aus dem Jungen geworden? Ich scheue mich vor dem Gedanken, dass er ebenfalls tot ist.« Er sah auf die Tatortmarkierungen hinunter. »Wissen Sie, es kommt mir alles so gestellt vor, so -«
»Inszeniert?«
Dryer runzelte die Stirn. »Ja, so sieht es doch aus. Ziemlich schwer zu glauben, dass das Opfer hierher zurückgekehrt ist, anstatt direkt nach London, nach Hause zu fahren. Dieses kleine Mädchen -Mathilda -, wenn die immer hierherkam, um in dem kleinen Häuschen zu spielen - ob sie vielleicht jemanden gesehen hat?«, überlegte Dryer.
»Hat sie. Sie sah Glynnis Gault von weitem und den Jungen aus nächster Nähe.«
»Ja, das hat sie mir erzählt.«
War das Dryers Methode?, fragte sich Jury. Er ließ einen im Glauben, er wüsste es nicht, und wusste es dabei doch ? Das konnte einem ziemlich auf die Nerven gehen. Jury jedenfalls nervte es bereits.
»Was ist aber, wenn jemand sie gesehen hat? Ich finde, ihre Eltern täten gut daran, sie von dort fernzuhalten.«
»Eltern gibt es keine. Sie lebt bei ihrer Tante - einer gewissen Brenda Hastings -, aber das wissen Sie ja. Die Tante hat ihr bereits mehrmals eingeschärft, dort drüben nicht zu spielen. Geholfen hat es nicht viel. Das Mädchen kommt trotzdem immer wieder.«
Dryer lächelte. »Sie sprudeln ja vor wertvollen Informationen, Superintendent.«
Jury erwiderte das Lächeln. »Da sollten Sie mit Harry Johnson sprechen. Von dem habe ich das alles erfahren.«
»Das werde ich bestimmt tun.«
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