Grimm 2: Die Schlachtbank (German Edition)
am seidenen Faden hängt, ist sie zu verwirrt und zu beeinträchtigt, um zu begreifen, warum sie solche Schmerzen hat
.
Juliette war besorgt, dass sich die Bremmers trotz ihrer warnenden Worte unrealistische Hoffnungen machten. Wenn sie am nächsten Tag zurückkehrten, würden schlechte, wenn nicht gar die schlimmsten Neuigkeiten auf sie warten, da sie nun erneut darauf hofften, dass es Roxy bald besser gehen würde.
Aber wie konnte Juliette ihnen auch noch den letzten Hoffnungsschimmer nehmen?
Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie beinahe selbst die Hoffnung aufgegeben, dass sie je wieder den Weg zurück zu Nick finden würde. Jetzt erwischte sie sich dabei, wie sie mit der Hand über die Stelle rieb, an der Majique, Adalind Schades Katze, sie gekratzt hatte. Diese Erinnerung setzte ihr jedes Mal aufs Neue zu. Sie war ins Koma gefallen und ohne jegliche Erinnerungen an Nick und ihr gemeinsames Leben wieder erwacht. Lange Zeit hatte sie vergeblich versucht, sich an ihn zu erinnern. Schließlich waren die Erinnerungen zurückgekehrt, aber in einer derart unverständlichen Flut, als wäre in ihrem Unterbewusstsein ein Damm gebrochen. Eine Zeit lang war das fast ebenso schlimm gewesen wie die Phase, in der sie sich ihr Zusammenleben überhaupt nicht mehr ins Gedächtnis rufen konnte.
Doch sie hatte sich den Weg zurück aus der Dunkelheit gebahnt und ihre Erinnerungen nach und nach zurückgewonnen, bis sie sich wieder wie ein ganzer Mensch fühlte. Dann hatte ihr Nick endlich gestanden, dass er ein Grimm war, und ihr erzählt, was das bedeutete. Im nächsten Moment hatten viele Freunde und Bekannte von Nick auch schon ihre wahre Natur enthüllt und sich als
Wesen
entpuppt. Auf einmal bestand ihre wieder zurückgewonnene Welt aus
Blutbadern, Fuchsteufeln, Eisbibern
und vielen anderen
Wesen
, die sie noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Eine Zeit lang hatte sie sich beim Anblick jedes Fremden und auch von Menschen, die sie schon seit Jahren kannte, gefragt, ob gerade ein
Wesen
vor ihr stand. Gleichzeitig hatte sie Angst, Nick mit all ihren Fragen in den Wahnsinn zu treiben. Für sie stellten die Antworten darauf das Licht dar, das die überwältigende Dunkelheit auf Abstand hielt und verhinderte, dass sie von allen Seiten von Fremdartigem umgeben war. Die Welt, die sie schon ihr ganzes Leben kannte, hatte sich praktisch vor ihren Augen verwandelt. Auch wenn sie das Nick nicht eingestehen konnte, machte ihr das Angst, war gleichzeitig aber auch unheimlich aufregend, und sie hätte sich zu gern eine Pause gegönnt, um einmal tief Luft holen und alles erst einmal verdauen zu können.
Ich brauche eine riesige rote Pausetaste
.
„Nein“, sagte sie leise und schalt sich selbst. „Das ist es nicht, was ich will.“
Hatte ihr Leben nicht lange genug stillgestanden? Gut, die Veränderungen waren schaurig und eine Herausforderung, aber es fühlte sich auch wunderbar an, dass sie ihr Leben zurückhatte, ebenso wie ihre Erinnerungen, und dass sie endlich begriff, warum ihr Nick einige Dinge vorenthalten hatte.
Bei Nicks erstem Versuch, ihr zu erklären, was er war, hatte sie geglaubt, er wäre verrückt geworden und hätte eine Art Illusion oder einen Zusammenbruch erlitten. Doch das war jetzt vorbei. Nun zweifelte sie Nicks Worte nicht länger an. Die Fakten ließen sich nicht leugnen. Das Wissen, dass sie sich endlich emotional weiterentwickeln konnten, nachdem sie längere Zeit eine eingeschlafene und daher festgefahrene Beziehung geführt hatten, war eine Erleichterung.
Dennoch machte sie sich gelegentlich Sorgen, dass etwas passieren könnte, das ihre Entwicklung als Paar verhinderte. Keine von einem Katzenkratzer hervorgerufene Krankheit, sondern etwas anderes, das unerwartet in Nicks gefährlicher Welt geschah. Wenn sie derartige Sorgen plagte, wirkten ihre wiedergewonnenen Erinnerungen an ihr Leben mit Nick wie ein Puzzle, das an einem seidenen Faden in der Luft hing und mit dem nächsten Windstoß erneut in Hunderte von Einzelteilen zerfallen konnte.
K APITEL F ÜNF
Nachdem die Knochen vom Tatort im Claremont Park eingesammelt worden waren, fuhren Nick und Hank zurück zum Revier, um auf die Testergebnisse zu warten. Auf der Rückfahrt fragte Hank Nick nach seinem Ersteindruck.
„Ein seltsamer Fall“, meinte Nick. „Eine zerstückelte Leiche ohne Körper.“
„Vielleicht ein alter Fall?“, überlegte Hank.
„Könnte durchaus sein“, stimmte ihm Nick zu. „Aber wir müssen den Bericht des
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