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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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andere Wege, die sie an andere Orte führten?
    Wie auch immer, Vesper hatte kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Etwas war falsch.
    Unstimmig.
    Vernebelt.
    »Als dann 1796 seine Mutter starb und ihn mit einem Vermögen zurückließ«, fuhr Andersen fort, »da weitete er seine Tätigkeiten noch mehr aus. In Jena traf er auf Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe, die ihrerseits bereits Erfahrungen mit den Mythen gesammelt und teilweise darüber geschrieben hatten.«
    »Goethe hat über die Mythen geschrieben?«
    »Offensichtlich.« Andersen sah sie nachsichtig an. »Der Faust ist nicht gänzlich die Erfindung eines Schriftstellers und Denkers.« Er erwähnte Werke wie Die Braut von Korinth , Der Totentanz und, nicht zuletzt, den Erlkönig .
    Leander nippte an seinem Kaffee.
    »Alle waren sich einig, dass die Mythen eine Bedrohung für die moderne Welt darstellten.«

    Edgar, das Äffchen, neigte den Kopf und lauschte den Worten seines Herrn, als würde es sie verstehen.
    »Noch immer töteten sie Reisende, verhexten unschuldige Menschen, fraßen kleine Kinder auf. In erster Linie aber waren sie ein Ärgernis für die lokalen Fürstentümer, die sich mit den Konsequenzen all dieser unkontrollierten Angriffe auseinandersetzen mussten. Die Welt wäre weniger gefährlich, so dachte man, wenn die Mythen kontrolliert oder gar, auch das fasste man schon gleich zu Beginn der Diskussionen ins Auge, verbannt werden könnten.«
    »Also hat man die Bohemia gegründet.«
    »Noch nicht, noch nicht.«
    »Sondern?«
    »Goethe trug die Problematik Wilhelm und Jacob Grimm vor, zwei Brüdern, die sich vorzüglich mit den Mythen auskannten. Lange Jahre hatten sie aus vielen Quellen Material gesammelt und diese Wesen spezifiziert und katalogisiert. Und es waren die Brüder Grimm, die die Gründung eines Geheimbundes vorschlugen.«
    »Die Brüder Grimm gründeten die Bohemia ?«
    »Ja.«
    »Dann waren sie nicht ausschließlich Gelehrte.«
    »Nein, natürlich nicht.«
    Das Äffchen gestikulierte mit den Pfoten.
    Andersen nickte ihm zu. »Edgar möchte, dass ich noch auf ihre Feldstudien hinweise.«
    »Sie verstehen, was das Äffchen sagt?«
    »Edgar beherrscht die Gebärdensprache, wie euch bereits aufgefallen sein mag.«

    »Das ist überaus seltsam«, bemerkte Leander.
    »Nicht unbedingt«, antwortete Andersen. »Nur dann, wenn man es nicht glaubt.«
    »Gutes Argument.«
    Edgar gestikulierte erneut.
    »Er findet es amüsant, dass ihm das niemand zutraut.«
    Vesper starrte das Äffchen an. Dann lächelte sie, zwinkerte ihm zu. »Tut mir leid, das ist alles zu neu für mich.«
    Edgar gab ein schnalzendes Geräusch von sich und wirkte zufrieden.
    »Von welchen Feldstudien sprach Edgar?«, kam Leander zum Thema zurück.
    »Die Brüder Grimm lebten lange Zeit bei den Mythen. Sie notierten sich die Gebräuche und Sitten. Sie analysierten die Sprache der Mythen, ihre Geschichte, alles, was sie herausfinden konnten. Auf der Basis dieser Erkenntnisse, die außerordentlich detailliert waren, verfassten sie eine Enzyklopädie der Mythen.«
    Vesper schaute Leander an. »Das sind doch mal Neuigkeiten.«
    »Allerdings.«
    Edgar sah wieder zu seinem Herrn.
    »Mit vereinten Kräften«, erklärte der, »suchte man dann nach Mitteln, um die Mythen zu bannen. Sie unschädlich zu machen.« Tiefe Schatten schwammen in den graublauen Augen des Fremden. »Und schließlich fanden sie heraus, dass die Menschen an die Mythen glauben mussten, wollten diese leben. Der Glaube war ihr Lebensatem.
Taten die Menschen das nicht, verließ die Wesen die Kraft.«
    »Sie starben?«
    »Eine Art Krankheit befiel sie. Sie wurden geschwächt und siechten dahin. Sie lösten sich auf. Keiner weiß, wohin sie dann gingen.«
    »Sie vernichteten die Mythen?«
    Vesper staunte: »Die Brüder Grimm töteten die Märchenfiguren?« Sie ahnte, dass sich das vollkommen verrückt anhören musste, doch Jonathan Andersen sah sie nur ernst und zugleich traurig an.
    »Nein, sie verbannten sie.«
    »Ist das ein Unterschied?«
    »Ja.«
    »Wohin wurden sie verbannt?«
    »Das weiß niemand so genau. Sie verschwanden einfach, und das war alles, was wichtig war.«
    »Wie hat man sie denn verbannt?«, wollte Vesper wissen. Etwas an der ganzen Geschichte kam ihr noch immer unglaubwürdig vor. So, als fehle ein ganz entscheidendes Puzzlestück.
    »Eigentlich war es ganz einfach. Man musste den Glauben an sie zerstören, und schon hatte man sie besiegt.«
    »Also musste man den Menschen nur

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