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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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die Menschen die Mythen töten.«
    Jetzt ging es um die Gabe, die auch Vesper selbst zu besitzen schien. Doch hatten die anderen nicht behauptet, dass es eine angeborene Fähigkeit sei? »Was ist mit den Musen?«, fragte sie.
    Theodora Zobel lachte laut auf. »Das alte Kindermärchen von den Musen? Sag nur, du glaubst daran.«
    »Wir haben davon gehört«, bestätigte Leander. »Wie gesagt, wir …«
    »Eine Lüge der Bohemia «, unterbrach sie ihn schroff. »Wilhelm und Jacob Grimm waren diejenigen, die ein Gespür
für derlei Dinge besaßen. Sie erkannten die Magie der Steine. Ja, sie sahen, dass die Steine den Worten, die man spricht, oder den Gedanken, die man denkt, eine unglaubliche Macht verleihen. Sie nutzten sie als Waffe.«
    »Dann gibt es gar keine Abstammung von den Musen?«
    »Blödsinn«, fauchte die Hexe. »Es gibt nur einen einzigen Erlkönig. Alles andere war eine Lüge. Höchst geschickt von den Brüdern Grimm und den anderen Lügnern in Umlauf gebracht. Mit der Zeit wurden diese Lügen zu Gerüchten, die Gerüchte zu Geschichten, die Geschichten zu Legenden.« Sie seufzte. »Und am Ende wurden die Legenden zur Wahrheit.«
    Leander nippte an seinem Tee, verzog das Gesicht. »Dann gibt es keine Gabe.«
    Theodora Zobel lachte noch immer. »Der Träger des Steins hat die Macht.«
    Im Grunde genommen, dachte Vesper, war also alles ganz einfach. Und nicht an bestimmte Personen gebunden. Am Ende hatte sie diese Dinge mit den Buchstaben tun können, weil sie den Ring besaß. Ohne Schnickschnack bezüglich der langen Abstammung von Schriftstellern, die Nachkommen mit irgendwelchen Musen gezeugt hatten.
    »Was geschah mit der Schneekönigin?«
    Die Hexe streckte die Hand aus, und Edgar hüpfte ihr auf den Schoß. »Eine Dornenhecke wuchs und rankte sich um die Burg herum. Sie schloss alles darin ein. Die Schneekönigin aber ging hinauf in den Turm und schloss sich dort ein, und niemand hat sie jemals wiedergesehen.«

    »Und was hat das mit uns und der gegenwärtigen Situation zu tun?«
    »Ist das denn nicht offensichtlich, Jonathan Andersen? Der Erlkönig ist es, der den Menschen alles Leid bringt. Er ist zurückgekehrt. Er ist derjenige, der die Kinder entführen lässt und die Fäden zieht.«
    Vesper wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. »Was kann man gegen ihn tun?«
    »Die Schneekönigin ist die Einzige, die sich ihm entgegenstellen kann.« Die Hexe sah sie alle scharf an. »Und sie wird sich ihm entgegenstellen. Ihr müsst sie nur aus ihrem Turm befreien.«
    Vesper verdrehte die Augen. Das alles klang nicht sehr ermutigend. »Und deswegen sind sie hinter uns her?«
    »Deswegen haben sie alle anderen getötet?«, fragte Andersen.
    »Das ist der Punkt.« Theodora Zobel nickte. »Es gibt jetzt nur noch euch drei. Ihr habt die Schmuckstücke mit den Steinen. Ihr habt die Schlüssel.«
    »Was hat es mit den Schlüsseln auf sich?« Vesper konnte sich nicht mehr vorstellen, dass alle Schlüssel so wichtig waren, dass die Mythen hinter ihnen her waren.
    »Sei nicht so schwer von Begriff, Mädchen«, fuhr die Hexe sie ungeduldig an. »Schau hin, und du erkennst, was passiert ist.« Sie schnippte mit den Fingern der rechten Hand, die andere Hand kraulte beruhigend den Hals des Äffchens auf ihrem Schoß. »Diese drei Schlüssel, Mädchen, können den Turm öffnen. Diese drei, und nur diese drei. Man braucht sie, um die Schneekönigin zu befreien.«

    Vesper schwieg.
    »Dann wollten sie gar nicht in die Refugien eindringen?«
    Theodora Zobel zuckte die Achseln. »Das alte Märchen, so wie ich es kenne, endet damit, dass die Schneekönigin, erfüllt von Schwermut, die drei Schlüssel zu ihrem Turm fortgibt. Sie ruft drei Gänse in den Turm. Ihnen gibt sie die Schlüssel, und sie tragen sie in die Welt hinaus.«
    »Warum?«
    »Damit nichts und niemand sie dort mehr herauslassen kann, Dummchen.« Sie schien das kleine Äffchen zu mögen. »Sie war der Welt so überdrüssig. Wollte nur schlafen und sterben. Sie glaubte daran, dass der Erlkönig sie verraten hatte, und dieses Wissen hatte ihr Herz, Seele und Augen zu Eis gefrieren lassen.«
    Leander hob die Hand wie ein Schüler, der sich zu Wort melden möchte. »Fürchtet der Erlkönig deswegen also ihre Rache?«
    Sie nickte.
    »Der Erlkönig wird alles daransetzen«, mutmaßte sie, »in den Besitz der drei Schlüssel zu kommen. Denn nur so kann er verhindern, dass die Schneekönigin ins Leben zurückkehrt.«
    »Aber haben sie nicht beide das gleiche

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