Grimm - Roman
Junge.«
Leander schüttelte den Kopf. »Ich habe Sie auch noch nie gesehen.«
Warum nicht die Sache auf den Punkt bringen, dachte Vesper. »Herr Andersen kannte Carlotta Siebenbürger.«
Die hellen Augen wurden blauer und noch heller. »Vielleicht höre ich mir ja zumindest kurz an, was ihr zu sagen habt.«
»Das wäre nett.«
Sie zwinkerte dem Äffchen zu, als habe sie wenigstens Edgar schon einmal getroffen. »Und warum soll ich euch dreien helfen?«
Jonathan Andersen trat vor und sagte mit leiser Stimme: »Sie haben Carlotta gekannt.«
Die Hexe seufzte. »Carlotta.« Sie zuckte kaum merklich zusammen, als sie den Namen aussprach. »Hm, nun ja,
Carlotta Siebenbürger, das arme Kind.« Ihre hellen Augen musterten ihn. »Das ist lange her. Sehr, sehr lange. Sie war ein so schönes Mädchen.«
»Das war sie.« Andersen rang sichtlich um Fassung.
Theodora Zobel blickte ihm tief in die Augen, und wenn dort etwas verborgen war, dann erkannte sie es.
»Wir suchen einen Ort namens Karlstein«, sagte Leander.
»Kommt rein«, forderte die Hexe sie auf und ging vor. Die anderen folgten ihr.
Vesper musste den Kopf einziehen, als sie durch die Tür trat. Sie befand sich jetzt in einem großen Raum, der warm und behaglich war. Im Kamin brannte ein offenes Feuer, es roch nach Flammen, Rauch und Kohle. Blumen und allerlei wilde Kräuter wucherten aus schäbigen Tontöpfen, die überall herumstanden. Ein dünner Baum wuchs aus dem Boden in der Mitte des Raumes; er trug Äpfel, selbst jetzt in der Winterszeit. Die Möbel waren robust und einfach. Massive Schränke, ein runder Tisch, ein alter Sekretär mit einem unordentlichen Stapel alter Pergamente darauf. Von den Holzbalken, die sich durch die Decke zogen, baumelten Laternen herab. Drüben, am Fenster, befand sich eine Kochecke: ein rostiger Kohleherd, verbeulte Töpfe und einige geschwärzte Pfannen, kein Kühlschrank. Würste hingen von der Decke, frisches Brot war in ein Tuch eingewickelt, ein leuchtender Kupferkessel stand vorn auf der Herdplatte.
Vesper entdeckte weder Fernseher noch Radio, ganz zu schweigen von einem Telefon oder einem Internetanschluss.
Nicht einmal Strom schien die alte Frau zu haben. Wo man auch hinsah, brannten Kerzen oder Öllampen.
»Die Natur«, sagte die Hexe, »gibt uns alles, was wir brauchen.«
Vesper wusste nur zu gut, dass sie ein Kind der Stadt war. Sie liebte Straßen, Bistros, Geschäfte. Und die warzigen Kröten in den Ecken und Winkeln des Raumes hätte sie auch nicht gebraucht.
Andersen ergriff das Wort, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen und den Winter ausgesperrt hatte. »Wir haben ein Problem.«
»Das ich lösen soll?« Theodora Zobel musterte ihn genau. »Das scheint mir kein gewöhnliches Problem zu sein. Ihr habt nach Karlstein gefragt. Das tut keiner leichten Herzens.«
Leander sah sie fragend an.
»Manchmal«, erklärte sie ihm, »kommen die Leute mit ihren Wehwehchen zu mir.« Sie kicherte. »Ein wenig Magie hier, eine Salbe da, ein frisch gebrauter Tee, das genügt in den meisten Fällen.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Aber Karlstein, das ist etwas anderes.«
»Wir brauchen Informationen über die Mythen«, sagte Leander.
Vesper ergänzte: »Und die Bohemia .«
Als sie den Namen hörte, spuckte die Hexe in den Sand auf dem Boden und machte ein Zeichen gegen den bösen Blick. »Gehört ihr zur Bohemia ?« Wütend funkelte sie ihr Gegenüber an. »Wenn ihr zur Bohemia gehört, dann verschwindet, ich habe nichts mit denen zu schaffen.«
»Nein«, antwortete Leander. »Wir gehören nicht dazu.«
»Nun ja, vielleicht doch«, verbesserte ihn Vesper. »Eigentlich wissen wir es nicht einmal selbst.«
Theodora Zobel starrte sie misstrauisch an. »Erklär mir das, Mädchen.«
Also erzählten sie der Hexe, was in der Welt da draußen vor sich ging. »Wir sind so hilflos.« Vesper näherte sich dem Ende ihres Monologs. »Und dies hier ist die einzige Spur, die wir haben.«
Draußen pfiff der Wind um die Kate.
Sie berichtete von der Spur aus Rosenstaub. Leander und Andersen hörten das Märchen zum ersten Mal.
Theodora Zobel lauschte andächtig, nickte hin und wieder.
Dann machte sie einen starken Kräutertee, den keiner von ihnen ablehnen durfte, auch wenn er bitter und wie Rauch aus dem Kamin schmeckte.
»Ihr wollt wissen, was ihr tun müsst, um sie aufzuhalten?«
»Ja.«
Sie seufzte. »Ich bin eine von ihnen, wisst ihr. Euch zu sagen, wie man ihnen Leid zufügt, ist mir nicht erlaubt … nein,
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