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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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auf und zu, als sei sie ein Fisch auf dem Trockenen. »Das ist wirklich …«
    Vesper hielt ihrem Blick stand. Dann erhob sie sich, ging zu der Topfpflanze und drückte ihre Zigarette in der feuchten Erde aus. »Besser so?«, fragte sie und ging zu ihrem Platz zurück.
    Die Wissmann war mit ihren Nerven am Ende.
    Was für ein Tag!
    Irgendwie war Vesper heute auf der Suche nach Streit.
    Sie hatte verschlafen, war halbfertig und ungeschminkt durch die Kälte zum Gymnasium gelaufen. Schon während
der zweiten Stunde hatte Herr Müller, ihr ausschließlich Nadelstreifenanzüge und klassische Krawatten tragender Tutor und Mathematiklehrer, sie offiziell ausrufen lassen und zum Sprechzimmer beordert. Dort hatte er ihr kurz und knapp die Neuigkeiten verkündet, worauf sie in die Klasse zurückgekehrt war, ihre Sachen zusammengepackt und sich bei der Direktorin gemeldet hatte.
    Hier saß sie jetzt seit einer geschlagenen Stunde und wartete darauf, dass ihre Mutter endlich eintraf. Vesper starrte die Zeiger der Uhr an, die über den Pflanzen hing.
    Draußen, vor dem Fenster, träufelte ein eisiger Wind den Winter in die Welt, noch bevor sich die Schneeflocken dazu entschieden hatten, die Stadt mit einem Mantel aus Weiß zu bedecken. Der Regen klatschte gegen die Fensterscheibe, und unten in den Straßen und auf dem Schulhof klebte rostrotes Herbstlaub an allem, was dort stand und lag.
    Hamburg - ihre neue Heimat.
    Wow!
    »Du wirst dich dort wohlfühlen«, hatte ihr Vater gesagt. Nach dem Desaster in ihrer alten Schule war der Umzug zu ihrer Mutter so etwas wie eine Flucht nach vorn gewesen.
    »Ich will aber in Berlin bleiben.« Vesper war verzweifelt gewesen, denn sie hatte gewusst, dass die Entscheidung ihrer Eltern so endgültig gewesen war wie nur irgendwas. Es gab keinen anderen Weg mehr, kein Zurück.
    Wie gesagt - jetzt war sie hier.

    Unwiderruflich.
    Seit knapp vier Monaten nun besuchte sie das St. Nikolai und fand die Schule mit jedem neuen Tag abstoßender. Was lag also näher, als die Zeit, die sie hier in dem altehrwürdigen Gebäude verbringen musste, auf die nötigsten Stunden zu reduzieren?
    Sie steckte sich einen Stöpsel ins Ohr und klickte sich durch das Menü ihres iPods, bis sie Sinnerman von Nina Simone gefunden hatte, das brachte sie wieder runter. Die leicht monotone Melodie tat ihr gut und ließ das gediegene Sekretariat wie eine seltsam entrückte Kulisse irgendeines alten Films erscheinen. Mattfarbene Bilder von Schiele und Hopper an den Wänden, ein riesiges Foto, das die Gestalten des Kollegiums zusammengepfercht auf der Haupttreppe unten in der Aula zeigte, das übliche Sammelsurium aus zwei Kopierern, Bildschirmen, ordentlichen Ablagetürmen und Telefonen. Ab und zu steckte ein Lehrer leise seinen Kopf zur Tür herein, weil er faxen, kopieren, über Schüler schimpfen oder einfach nur reden und Neuigkeiten erfahren wollte.
    Endlich, nach einer halben Ewigkeit, öffnete sich die Tür, und Margo Gold schneite herein. Sie wirkte wie eine Diva, die sich verlaufen hatte. Sie trug einen Hosenanzug, dazu einen langen dunklen Mantel samt extravagantem Schal mit indisch angehauchtem Muster. Die schulterlangen dunklen Haare trug sie offen und wallend, und als sie den Raum betrat, streifte sie sich äußerst theatralisch die Lederhandschuhe ab, faltete sie säuberlich, begrüßte die Sekretärin mit einem sehr beiläufigen Nicken und erbat
sich eine schnelle Anmeldung bei der Schulleiterin, da sie noch einige Termine zu beachten habe.
    Erst dann wandte sie sich ihrer Tochter zu.
    »Was hast du angestellt?«, kam sie direkt auf den Punkt, wippte unruhig mit dem Fuß und schlug einen imaginären Takt. Mit einer geübten Handbewegung zupfte sie Vesper den Kopfhörer aus dem Ohr. »Ich mag nicht, wenn du das tust, es macht dein Gehör kaputt.« Sie wirkte etwas gehetzt, und Vesper wusste, warum. »Du weißt, dass ich gleich wieder los muss. Das Flugzeug geht in anderthalb Stunden. Also bitte keine Ausreden, Vesper. Was ist los?«
    »Sie haben dir nichts gesagt?«
    »Am Telefon? Nur dass ich dringend herkommen soll und du womöglich die Schule verlassen musst.«
    »Klasse.«
    »Nun?«
    »Ich habe Atteste gefälscht.«
    Margo Gold starrte ihre Tochter an. »Du hast was ?« Im Hintergrund telefonierte die Wissmann mit der Direktorin, was ihr Blick auf die Wand, hinter der sich ihr Büro befand, und die unterwürfige Haltung leicht verrieten.
    »Du wolltest eine ehrliche Antwort haben, und das war sie.« Vesper

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