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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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ihre Mutter hatte diese Art von Musik sehr geschätzt - und Vesper selbst fand sie angenehm unzeitgemäß. Sie trat an den Tisch und sah sich weiter um.
    Öffnete die Jacke, lockerte den Schal - ein wenig.
    Auf dem riesigen Schreibtisch verstreut lagen zwischen diversen Schreibutensilien alte Bücher und Zeitschriften, aktuelle Tageszeitungen und Kopien aus Büchern oder diversen Magazinen. Es war ein Haufen aus Krimskrams und Blättern, Zetteln und Notizen, kunterbunt durcheinander, zerwühlt und ohne jede erkennbare Systematik in wilden Haufen übereinandergeschichtet.
    Dazwischen standen überall Teller voller Krümel und jede Menge Tassen mit Kaffeerändern.

    Kurz darauf kehrte Coppelius zurück, sah sie erneut an, als könne er gar nicht fassen, sie hier zu sehen. »Sie sind also Maxime Golds Tochter«, stellte er fest, noch bevor sie auch nur ein Wort gesagt hatte. Er spähte an ihr vorbei durchs Fenster, die Gasse hinab, die Treppenstufen zum Berg hinauf, wachsam wie ein unruhiges Tier, das sich verfolgt wähnt. »Er hat Ihnen also gesagt, dass Sie zu mir kommen sollen.« Er seufzte erneut, und es kam Vesper vor, als laste das Gewicht großer Geheimnisse auf seinen Schultern. »Hat er einmal Andeutungen gemacht?«
    »Andeutungen?«
    »Bezüglich gewisser«, hier machte er eine Pause, beobachtete sie eingehend, bevor er betonte: » geheimnisvoller Dinge.«
    Geheimnisvolle Dinge? Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich habe ich keine Ahnung, was ich mache.«
    »Soll das heißen …?«
    Was immer er auch meinte … »Ja«, sagte sie ungeduldig.
    »Sie wissen nichts von dem, was Ihr Vater getan hat?«
    »Er war Regisseur.«
    »Ja, er mochte Geschichten. Doch darüber hinaus …«
    Erneutes Kopfschütteln ihrerseits.
    »Sie wissen demnach nichts vom Refugium.«
    Bingo! »Nein.«
    Er starrte sie an. »Er hat es niemals erwähnt?«
    Sie erzählte ihm von dem Besuch bei ihrer Mutter und dem, was sie dort gesehen hatte. »Mein Vater schickte mir
diesen Ring und einen Schlüssel. Einen sehr alten Schlüssel.« Sie kramte ihn aus der Tasche hervor. »Den hier.«
    Coppelius erstarrte. »Das ist einer der Schlüssel zum Refugium.«
    »Kann sein«, murmelte sie nur und ließ den eisernen Schlüssel schnell wieder in der Tasche ihrer Lederjacke verschwinden.
    »Sie meinen«, hakte er erneut nach und zupfte an seiner rechten Augenbraue, »Sie meinen, Sie wissen wirklich gar nichts vom Refugium in der Speicherstadt? Sie haben noch nie davon gehört? Nicht ein einziges Mal? Sie wissen nicht, wo es ist und warum es erschaffen wurde?«
    »Herrje, nein.« Sie kam sich vor wie in einem Schauermärchen, wo erst viel zu langsam die düsteren Geheimnisse aus alter Zeit offenbar werden. »Nun sagen Sie mir schon, was hier los ist.« Sie wusste, dass ihre Stimme nicht gerade höflich klang.
    »Das Refugium«, sagte Coppelius, von ihrer Ungeduld unbeirrt, »ist eines der letzten in diesem Teil der Welt. Die anderen wurden alle vernichtet, als …« Er hielt inne, seufzte. »Sie wissen wirklich überhaupt nichts von der Bohemia ?« Als sei dieser Sachverhalt ganz und gar unmöglich zu fassen, so sah er aus, als er ihr die Frage stellte.
    Vesper zuckte die Achseln. »Ich habe nie davon gehört.« Sie wusste nicht einmal, was oder wen er damit meinte.
    »Dann«, meinte Coppelius, »sollte ich jetzt erst einmal den Tee bringen und Ihnen dann von allem berichten. Es ist eine lange Geschichte, die ich zu erzählen habe. Aber wir haben ja Zeit, nicht wahr?!« Er verschwand erneut
in dem Nebenraum, und Vesper hörte, wie er laut mit Geschirr herumhantierte. Es schepperte und klirrte und klapperte.
    Derweil betrachtete sie die Zeitungen, die auf dem Tisch lagen. Coppelius hatte die meisten der Artikel markiert. Es ging, neben dem seltsamen Kinderschlaf und den Träumen, um das Verschwinden von Kindern irgendwo in der Eifel. Um Wölfe, die man in den Wäldern dort angeblich gesehen hatte. In einem Artikel war von einem Nebelspinner die Rede (was auch immer das sein sollte), in einem anderen von alten Märchen. Nichts an diesen Artikeln ließ einen Zusammenhang vermuten: Da ging es um den Brand einer Lagerhalle in München, einen Autounfall irgendwo am Bodensee, um seltsame Wetterphänomene, die mit neuartigen Wolkenbewegungen zu tun hatten, um eine Auktion, bei der alte Bücher und mittelalterliche Möbelstücke feilgeboten worden waren, um den Absturz einer einmotorigen Chessna irgendwo in den Alpen. Mitten in dem Durcheinander lag eine uralte

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