Grimwood, Ken - Replay
Melancholie.
Sie war mit dem Ankleiden fertig und kämmte sich gerade ihr schönes glattes Haar. Wieviele Male hatte er ihr dabei zugesehen, in wievielen Spiegeln? Öfter, als sie sich vorstellen konnte oder sich in Erinnerung zu rufen er jetzt ertragen konnte.
»Bis nächste Woche«, sagte Pamela und beugte sich vor, um ihn zu küssen, während sie ihre Handtasche vom Nachttisch hochhob. »Ich werd’ versuchen, einen frühen Zug zu erreichen.«
Er erwiderte ihren Kuß, hielt einen sehnsuchtsvollen Moment lang ihr leuchtendes Gesicht zwischen den Händen und dachte an die Jahre, die Jahrzehnte, die Hoffnungen und Pläne ihrer Leben, die sich erfüllt hatten und die gescheitert waren…
Aber nächste Woche würden sie einen ganzen Tag füreinander haben; einen Tag voller Wärme, einen Vorfrühlingstag. Einen Tag, auf den er sich freuen konnte.
Die erste Winterbrise wehte vom See heran, wirbelte die roten und gelben Blätter auf den Straßen von Cherry Hill auf. Der Springbrunnen in der Bahnhofshalle ließ sein kaltes Wasser plätschern, als Jeff und Pamela an ihm vorbei zur anmutig geschwungenen schmiedeeisernen Bow Bridge im Central Park gingen. Auf der anderen Seite der Brücke angelangt, wanderten sie nordwärts die baumumstandenen Spazierwege entlang, mit dem See zu ihrer Linken. Hunderte von Vögeln zwitscherten aufgeregt überall um sie herum, bereiteten sich auf die lange Reise nach Süden vor.
»Wäre es nicht schön, wenn wir uns ihnen anschließen könnten?« sagte Pamela und schmiegte sich im Gehen eng an ihn. »Zu irgendeiner Insel fliegen, oder nach Südamerika…«
Er gab ihr keine Antwort, drückte sie bloß fester, seinen Arm schützend um ihre Taille gelegt. Aber er wußte mit bitterer Gewißheit, daß er ihr keinen Schutz bieten konnte vor dem, was ihnen beiden bald zustoßen würde.
Am Nordende des Sees blieben sie auf der Balcony Bridge stehen und betrachteten den tiefergelegenen Wald, das die Wolkenkratzer von Manhattan spiegelnde Wasser.
»Weißt du was?« flüsterte Pamela, das Gesicht nahe an seinem. »Was?« sagte er.
»Ich hab’ Steve gesagt, ich würde nächstes Wochenende wieder meine alte Zimmergenossin in Boston besuchen. Freitag bis Montag. Wir können irgendwohin fliegen, wenn du magst.«
»Das ist… fabelhaft.« Es gab nichts, was er hätte sagen können; es wäre der Gipfel der Grausamkeit gewesen, ihr zu sagen, was er wußte: daß dies der letzte Tag war, an dem sie beieinander sein würden. Am kommenden Dienstag, in fünf Tagen, würde die Welt für sie beide für immer zu Ende gehen.
»Du scheinst aber nicht sonderlich begeistert zu sein«, sagte sie stirnrunzelnd.
Jeff setzte ein Lächeln auf, versuchte seinen Kummer und seine Angst zu verbergen. Wie sie sich in ihrem unschuldigen Vertrauen an die Jahre klammerte, die sie glaubte noch erleben zu können; jetzt, kurz vor dem Ende, war das größte Geschenk, das er ihr machen konnte, eine Lüge.
»Das ist wunderbar«, sagte er mit gespielter Begeisterung. »Ich bin bloß überrascht, das ist alles. Wir können fliegen, wohin du nur willst. Überallhin. Nach Barbados, Acapulco, zu den Bahamas… du entscheidest.« »Ist mir gleich«, sagte sie und kuschelte sich an ihn. »Solange es nur warm ist und ruhig und ich bei dir bin.«
Wenn er weitersprach, das wußte er, würde seine Stimme zu sehr schwanken. Statt dessen küßte er sie, legte seinen ganzen verzweifelten Schmerz in einen letzten, körperlichen Ausdruck all dessen, was er je für sie empfunden hatte, was sie je…
Sie stöhnte plötzlich auf, fiel schlaff gegen ihn. Er packte ihre Schultern, hielt sie fest, damit sie nicht zu Boden sank.
»Pamela? Mein Gott, nein, was…«
Sie gewann den Halt zurück, wandte ihm ihr Gesicht zu und blickte ihn entgeistert an. »Jeff? Oh mein Gott, Jeff…?«
Da war es, alles, in ihren geweiteten Augen: Verstehen, Wiedererkennen, Sich-Erinnern. Das gesamte Wissen und der Schmerz aus acht verschiedenen Leben überschwemmten ihr Gesicht, verzerrten ihren Mund vor unvermittelter Verwirrung.
Sie blickte umher, sah den Park, die Skyline von New York. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, suchten wieder Jeff.
»Ich war… es sollte alles vorbei sein!«
»Pamela…«
»Welches Jahr ist es? Wie lange haben wir noch?«
Er konnte es ihr nicht vorenthalten; sie mußte es wissen. »Es ist 1988.«
Sie blickte die Bäume an, die kupferfarbenen Blätter, die sie umwirbelten. »Es ist schon Herbst!«
Er glättete ihr
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