Grimwood, Ken - Replay
›Das unüberprüfte Leben ist es nicht wert, gelebt zu werden‹.«
»Stimmt. Aber ein zu sehr hinterfragtes Leben führt in den Wahnsinn, wenn nicht zum Selbstmord.«
Sie sah auf ihre Fußstapfen in dem ansonsten jungfräulichen Schnee hinunter. »Oder einfach zum Scheitern«, sagte sie ruhig.
»Du bist nicht gescheitert. Du hast einen Versuch gemacht, die Welt zusammenzuführen, und dabei hast du ein großartiges Kunstwerk geschaffen. Die Anstrengung, der Schaffensprozeß – diese Dinge stehen für sich.«
»Vielleicht solange, bis ich wieder sterbe. Bis zum nächsten Replay. Dann wird alles ausgelöscht.«
Jeff schüttelte den Kopf, seinen Arm fest um ihre Schultern gelegt. »Nur die Früchte deiner Arbeit werden verschwinden. Die Mühe, die Hingabe, die du in deine Anstrengungen hineingelegt hast… Dort liegt der eigentliche Wert, und der wird überdauern – in dir.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Aber soviel Verlust, soviel Schmerz; die Kinder…«
»Jedes Leben umfaßt auch Verlust. Ich habe viele, viele Jahre gebraucht, um damit fertigwerden zu lernen, und ich erwarte nicht, daß ich mich jemals ganz damit abfinden werde. Aber das heißt nicht, daß wir uns von der Welt abwenden sollen, oder aufhören, nach dem besten zu streben, was wir tun und sein können. Soviel schulden wir zumindest uns selbst, und wir verdienen, was immer an Gutem sich daraus entwickeln mag.«
Er küßte ihre tränennassen Wangen, dann küßte er sie leicht auf die Lippen. Im Westen kreiste ein Adlerpaar langsam am Himmel über dem Teufelscanyon.
»Bist du schon mal gesegelt?« fragte Jeff.
»Meinst du in einem Segelflugzeug oder mit einem Boot? Nein. Nein, bin ich nicht.«
Er legte beide Arme um ihre Taille, hielt sie eng umarmt. »Wir werden segeln«, flüsterte er in die Weichheit ihres lohfarbenen Haars. »Wir werden zusammen segeln.«
Hinter Revelstoke fuhr der Zug an großen, düsteren Gletschern entlang, während er in die Rocky Mountains hochzuklettern begann. Dichte Wälder von Rotzedern und Schierlingstannen bedeckten die umliegenden Berghänge, und hinter einer Biegung kam plötzlich ein zwischen zwei Gletschern eingeschlossenes Erikafeld in Sicht. Die rosa und purpurfarbenen Blüten bewegten sich leicht und schimmerten im weichen Frühlingswind, ihre vergängliche Schönheit ein stiller Vorwurf an die teilnahmslosen Wände aus Eis, die sie umgaben.
Den Blumen war eine gewisse erotische Qualität zu eigen, dachte Jeff: Ihr fragiles, windbewegtes Schmeicheln vor dem Hintergrund des unnachgiebigen Gletschers, ihre kraftvolle Farbe, die so sehr den Lippen einer Frau glich, oder…
Er lächelte Pamela auf dem Nebensitz an, legte seine Hand auf ihr bloßes Knie und ließ seine Finger unter ihren Rocksaum gleiten. Ihre Wangen röteten sich, als er zärtlich die Innenseite ihres Schenkels streichelte; sie sah sich in dem Aussichtswagen um, ob ihnen jemand zusah, doch die Augen der anderen Fahrgäste blieben auf das draußen vorbeiziehende Schauspiel gerichtet.
Jeffs Hand bewegte sich höher, berührte feuchte Seide. Pamela gab einen winzigen Seufzer von sich, als er sanft ihre Spalte drückte, und sie krümmte sich gegen den Ledersitz zurück. Er zog seine Hand langsam weg, indem er seine Fingerspitzen leicht an ihrem Bein hinunterlaufen ließ.
»Lust auf einen Spaziergang?« fragte er, und sie nickte. Er nahm ihre Hand, geleitete sie aus dem Aussichtswagen und zum hinteren Ende des Zugs. Zwischen Salon- und Speisewagen legten sie eine Pause ein, hielten zusammen ein prekäres Gleichgewicht aufrecht, während sie dastanden und sich auf der schwingenden Metallplattform küßten. Der durch das offene Fenster peitschende Wind war mindestens fünfzehn Grad kälter, als es am Morgen bei ihrem Aufbruch in Vancouver gewesen war, und Pamela zitterte in seinen Armen.
Ihr Schlafwagen war leer; wie es schien, waren alle anderen weggegangen, um die Aussicht des Panoramawagens zu genießen oder um zu speisen. Im Innern ihres Doppelabteils angelangt, klappte Jeff eins der Betten herunter, und Pamela streckte die Hand aus, um die Sonnenjalousie herunterzuziehen. Jeff hielt sie auf, zog sie an sich.
»Lassen wir uns durch die Landschaft inspirieren«, sagte er.
Sie widersprach im Scherz. »Wenn wir sie offenlassen, werden wir selbst zu einem Teil der Landschaft.«
»Niemand kann uns sehen, außer ein paar Vögeln und Hirschen. Ich möchte dich im Sonnenlicht sehen.«
Pamela trat von ihm zurück. Umrahmt von dem
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