Grippe
hanebüchenen Versprechen der angeblich vorbeugenden Medikamente zu durchschauen, genauso wie die Verweise zu lebensrettenden Notfallkliniken in der Provinz, mit denen die Propagandaplakate warben. Er sah so manchen einknicken und verzweifelt in eines dieser Camps aufbrechen in der Hoffnung, mit Nahrung, wirkungsvollen Arzneimitteln und anderen Bedarfsartikeln zurückzukehren. Niemanden von ihnen sollte Lark je wiedersehen, und folgen würde er ihnen sicher nicht. Er gehörte zur Sparte derer, die das Glas als halbvoll betrachteten, und bislang hatte er nur davon profitiert.
»Das schmeckt mir gar nicht«, sagte er, indem er die Nase rümpfte.
»Mir egal«, entgegnete George.
»Mann, jetzt macht mal ’ nen Punkt«, blaffte Geri wütend. »Ihr zwei solltet verdammt nochmal erwachsen werden und den Zank hinter euch lassen! Nur so haben wir eine Chance, uns hier draußen zu behaupten.«
Lark war geneigt, ihr zu widersprechen. Er hatte zu viel gesehen, um noch daran zu glauben, dass Vergebung in dieser Situation der Stein der Weisen war. Andererseits war er bereit, sich gefügig zu zeigen, solange er auf diese Weise seinen Arsch retten konnte. Er wollte es nur tun, weil es ihm gerade recht kam, zumal auch Geri anscheinend diesen Weg zu gehen gedachte. Gerade das bedeutete ihm etwas, ob er es eingestehen wollte oder nicht.
»Okay«, sagte er schließlich trocken. »Bin ganz brav.« Er schenkte George ein sarkastisches Grinsen, ehe er hinaus auf das Geraffel der Toten schaute, die sich um das Hochhaus versammelt hatten. Einige entfernten sich bereits vom Kern und kamen auf den Landrover zu.
»Irgendwelche Ideen, wie wir eine Schneise durchschlagen können?«, fragte George die beiden.
»Sicher.« Lark zündete sich eine weitere Zigarette an, sehr zum Argwohn von George und Geri. »Hab ’ ne Idee, wie das wunderbar klappen wird.«
Pat spähte zum Fenster hinaus, wobei er darauf achtete, nicht gegen die Läden zu stoßen. Sein Blick galt dem Landrover der Polizei, der unter den anderen Autos auffiel und ihn wie Salz in einer Wunde juckte – klobig, großspurig gepanzert und mit Radschutz, hässlich wie bedrohlich. Selbst jetzt noch.
Er hasste ihn. Er sollte verschwinden.
Karen sah das Fahrzeug mit anderen Augen: Sie freute sich.
»Hast du gesehen?«, fragte sie. Er wandte sich ihr zu und sah, dass sie sich in Schale geschmissen und geschminkt hatte. Allerdings war ihr Kleid fleckig, als hätte sie Farbe daüber gegossen. Maniküre hatte sie auch bleibenlassen.
»Sicher hab ich«, seufzte er. »Wo bist du eigentlich gewesen?«
»Nirgends«, behauptete sie unschuldig. »Nur im Zimmer, Hab die Wände gestrichen. Soll doch hübsch aussehen für –«
»Na, bleib jetzt einfach vom Fenster weg«, würgte er sie ungeduldig ab. Ihm war gleich, was sie machte, solange sie die da unten nicht auf den Plan rief.
»Warum das?«, fragte sie und schaute ihn verwirrt an. »Es ist ein Polizeieinsatzwagen. Begreifst du nicht, was das bedeutet?«
»Ärger«, erwiderte er und starrte sie an, als könne er nicht begreifen, dass sie diese Selbstverständlichkeit nicht anerkannte. »Den bringen die immer mit sich.«
Er versetzte sich zurück an den Tag, da sie ihn zum ersten Mal gejagt hatten. Er war nach einem seiner brutalsten Anschläge – mit einer Bombe am Straßenrand auf zwei solche Panzerwagen – mit seiner Familie in einem Dubliner Haus untergekommen.
Sie lauerten draußen, genauso wie jetzt, und seine Frau trat vor die Tür. Sie kreischte und brüllte, warf ihnen alle möglichen Schimpfwörter an den Kopf. Mehrere schwerbewaffnete Einheiten hatten das Grundstück bereits umstellt, und sie schnappten sie, zwangen sie zu Boden und knebelten sie, um sie wegzuschleifen wie eine Sache, eine schiere Unannehmlichkeit. Ihre späteren Ausführungen sollten Pats Zorn weiter schüren, die Flammen erneut stieben lassen, den alten Hass wieder entfachen. Deshalb tötete er weiter.
In jener Nacht jedenfalls wartete er im Obergeschoss und wägte die Optionen ab. Sein Sohn, der mittlerweile älter war, saß an der Treppe und schaute hinunter auf den Hausflur und die Tür. Er zitterte beim Laden eines Revolvers. Schweiß stand ihm im Gesicht. Er tönte, niemand käme an ihm vorbei, und Pat solle es einfach aussitzen.
Dreizehn Jahre alt war er und hantierte mit einer Waffe.
Pat legte dem Knaben die Hand auf die Schulter und kniete sich neben ihn.
»Es ist vorbei, Sohn«, sagte er mit einem Lächeln.
Sean hob den Kopf und
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