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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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zu arbeiten versuchte.
    Minuten verstrichen. Ich glaubte schon, dass er nicht antworten würde. Es dauerte so lange, dass ich hoffte, er wäre verschwunden, aber schließlich legte er mir eine Hand auf die Schulter.
    »Dann wäre ich einsam«, sagte er und blieb die ganze Nacht, bis die Dochte in den Lampen heruntergebrannt waren.
    Ich gewöhnte mich daran, dass er am Ende irgendeines Flurs auf mich wartete oder beim Einschlafen auf der Bettkante saß. Wenn er nicht erschien, ertappte ich mich dabei, nach ihm Ausschau zu halten und mich zu fragen, warum er nicht da war, und das war am unheimlichsten.
    Erfreulich war nur, dass Wassili beschlossen hatte, zur Auktion der einjährigen Pferde nach Karjewa zu reisen. Ich hätte vor Freude fast aufgeschrien, als ich es auf einem Spaziergang von Nikolaj erfuhr.
    »Er ist mitten in der Nacht aufgebrochen«, erzählte Nikolaj. »Zu meinem Geburtstag will er wieder hier sein, aber es würde mich nicht wundern, wenn er unter einem Vorwand fortbleiben würde.«
    »Schau nicht so selbstzufrieden«, sagte ich. »Das passt nicht zu einem Prinzen.«
    »Wenn ich schon keine Schadenfreude zeigen kann, dann wenigstens dies«, sagte er lachend und pfiff die sonderbar schiefe Melodie, die ich auf der Wolkwolnij gehört hatte. Schließlich räusperte er sich. »Nicht, dass du nicht stets ein Bild der Schönheit wärst, Alina, aber … schläfst du jemals?«
    »Nicht oft«, gab ich zu.
    »Albträume?«
    Zwar träumte ich immer noch von dem geborstenen Skiff und von Menschen, die vor der Finsternis der Schattenflur flohen, aber nicht das raubte mir den Schlaf. »Nicht ganz.«
    »Aha«, sagte Nikolaj und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Mir ist aufgefallen, dass sich dein Freund in letzter Zeit mächtig in die Arbeit stürzt. Er ist sehr gefragt.«
    »Tja«, sagte ich gespielt heiter, »das ist typisch Maljen.«
    »Wo hat er das Fährtenlesen gelernt? Alle fragen sich, ob es Glück oder Können ist.«
    »Er hat es nicht gelernt. Er konnte es von Anfang an.«
    »Schön für ihn«, sagte Nikolaj. »Mir ist keine Gabe in die Wiege gelegt worden.«
    »Du bist ein großartiger Schauspieler«, sagte ich trocken.
    »Meinst du wirklich?«, fragte er. Dann bückte er sich und flüsterte mir zu: »Ich spiele gerade den Demütigen.«
    Ich schüttelte genervt den Kopf, war aber dankbar für Nikolajs munteres Geplauder und noch dankbarer, als er das Thema fallenließ.
    David brauchte noch gut zwei Wochen für die Fertigstellung der Schüsseln. Als die Zeit reif war, ließ ich die Grischa auf dem Dach des Kleinen Palastes antreten, denn sie sollten der Vorführung beiwohnen. Tolja und Tamar behielten die Menge wie üblich wachsam im Blick, aber Maljen war nirgendwo zu entdecken. Am Vorabend war ich lange im Gemeinschaftszimmer gewesen, um ihn abzupassen und persönlich einzuladen. Ich wartete bis nach Mitternacht, dann gab ich auf und ging zu Bett.
    Die zwei großen Schüsseln standen links und rechts auf einem ebenen Ausläufer des Daches zwischen den Kuppeln des östlichen und des westlichen Flügels. Sie konnten durch ein System von Flaschenzügen bewegt werden und waren mit je einem Materialnik und einem Stürmer bemannt, die wegen des grellen Lichts Schutzbrillen trugen: Zoja und Paja an der einen Schüssel, Nadja und ein Durast an der anderen.
    Wenn es in die Hose geht , dachte ich besorgt, haben sie wenigstens zusammengearbeitet. Nichts ist besser für die Kameradschaft als eine ordentliche Explosion.
    Ich nahm meine Position auf der Dachmitte ein, genau auf halber Strecke zwischen den Schüsseln.
    Mit plötzlicher Nervosität stellte ich fest, dass Nikolaj den Hauptmann der Palastgarde, zwei Generäle und mehrere Berater des Zaren dazugebeten hatte. Ich konnte nur hoffen, dass sie kein allzu großes Spektakel erwarteten. Meine Macht kam bei vollkommener Dunkelheit am besten zur Geltung, aber das war während der langen Beljanotsch-Tage nicht möglich. Ich hatte David gefragt, ob wir die Vorführung auf den späten Abend verschieben könnten, aber er hatte nur den Kopf geschüttelt.
    »Wenn es klappt, wird es spektakulär genug sein. Und wenn nicht, wird es zweifellos noch spektakulärer – dann gibt es nämlich eine Explosion.«
    »Das ist jetzt ein Scherz, David, oder?«
    Er runzelte zutiefst verwirrt die Stirn. »Ja?«
    Auf Nikolajs Vorschlag benutzte David eine Trillerpfeife wie auf der Wolkwolnij , um die Signale zu geben. Er blies kräftig hinein und bei dem schrillen Pfeifen

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