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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Trottel bist.«
    Wassili lief knallrot an. Er sprang auf und ließ die Hände auf den Tisch klatschen. »Der Dunkle ist nur ein einziger Mann. Wenn du dich davor fürchtest, ihn zu bekämpfen …«
    »Ich habe ihn bekämpft. Und wenn du dich nicht fürchtest – wenn sich hier keiner fürchtet –, dann nur deshalb, weil kein Anwesender auch nur ahnt, was uns droht.«
    Einige Generäle nickten. Aber die Berater des Zaren, die Adeligen aus Os Alta und Bürokraten wirkten skeptisch. In ihren Augen bestand der Krieg aus Paraden, Militärtheorie und Figürchen, die auf einer Karte hin- und hergeschoben wurden. Sie würden sich wahrscheinlich auf die Seite von Wassili schlagen.
    Nikolaj drückte die Schultern durch und setzte wieder die Maske des Schauspielers auf. »Friede, Bruder«, sagte er. »Wir wollen doch beide das Beste für Rawka.«
    Wassili wollte sich jedoch nicht beschwichtigen lassen. »Das Beste für Rawka wäre ein Lantsow auf dem Thron.«
    Ich holte zischend Luft. Im Saal trat Totenstille ein. Wassili hatte Nikolaj gerade einen Bastard geschimpft.
    Aber Nikolaj hatte seine Fassung wiedergewonnen und ließ sich nicht mehr aus der Ruhe bringen. »Dann sollten wir alle ein Gebet für den rechtmäßigen Zaren von Rawka sprechen«, sagte er. »Wollen wir endlich fortfahren?«
    Die Sitzung schleppte sich noch kurz dahin und nahm dann zum Glück ein Ende. Auf dem Rückweg zum Kleinen Palast war Nikolaj untypisch still. Als wir den Säulentempel im Park erreichten, blieb er stehen, zupfte ein Blatt von einer Hecke und sagte: »Ich hätte nicht aufbrausen dürfen. Das weckt nur seinen Stolz und seinen Starrsinn.«
    »Warum hast du es doch getan?«, fragte ich neugierig, denn Nikolaj ließ sich nur selten von seinen Gefühlen hinreißen.
    »Ich weiß nicht«, sagte er und zerriss das Blatt. »Du warst wütend. Ich war wütend. Im Saal war es viel zu heiß.«
    »Daran kann es nicht gelegen haben.«
    »Verdauungsstörungen?«, schlug er vor.
    Ich wollte mich nicht mit einem Witz abspeisen lassen. Trotz Wassilis Einwänden und des ewig zaudernden Rates war es Nikolaj durch eine fast magische Mischung von Druck und Geduld gelungen, einige seiner Pläne umzusetzen. Er hatte veranlasst, dass die vor der Schattenflur fliehenden Menschen finanziell unterstützt und die schlagkräftigsten Regimenter der Ersten Armee mit Schutzkleidung der Materialki ausgerüstet wurden. Er hatte den Rat sogar dazu gebracht, Gelder für neue Ackergeräte bereitzustellen, damit die Bauern mehr als nur Selbstversorgung betreiben konnten. Kleine Veränderungen, die mit der Zeit eine große Wirkung entfalten würden.
    »Nein, du hast es getan, weil dir tatsächlich etwas an diesem Land liegt«, sagte ich. »Für Wassili ist der Thron nur ein Preis, eine Art Lieblingsspielzeug, mit dem er tändelt. Du bist da anders. Du wärst ein guter Zar.«
    Nikolaj erstarrte. »Ich …« Ihm schien es ausnahmsweise die Sprache verschlagen zu haben. Dann kroch ein schamhaftes, schiefes Lächeln über sein Gesicht, das mit seinem üblichen selbstsicheren Grinsen nichts zu tun hatte. »Danke«, sagte er.
    Ich seufzte, als wir unseren Weg fortsetzten. »Ab jetzt wirst du unerträglich sein, nicht wahr?«
    Nikolaj lachte. »Ich bin doch längst unerträglich.«
    Die Tage wurden länger. Die Sonne sank nur knapp unter den Horizont und in Os Alta begann das Beljanotsch-Fest. Nicht einmal um Mitternacht war es dunkel, und trotz Kriegsangst und der Bedrohung durch die Schattenflur feierte die Stadt die langen Stunden des Zwielichts. In der Oberstadt gab es jeden Abend Opern, Maskeraden und aufwendige Ballettaufführungen. Jenseits der Brücke, in der Unterstadt, wurden in den Straßen Tänze und Pferderennen veranstaltet. Ein endloser Strom von Vergnügungsbooten, jedes mit einer Laterne am Bug, schwankte auf dem Kanal dahin, und so war die Stadt im Dämmerlicht von dem träge fließenden Wasser umgeben wie von einem juwelengeschmückten Band.
    Es war nicht mehr ganz so heiß und hinter den Palastmauern schien sich die Stimmung aufgehellt zu haben. Ich hatte weiter darauf bestanden, dass sich die Orden der Grischa vermischten, und irgendwann – ich wusste nicht, wie – schlug das unbehagliche Schweigen in Gelächter und laute Gespräche um. Es gab zwar weiterhin Cliquen und Konflikte, aber die Stimmung im Saal war so entspannt und fröhlich wie seit langem nicht mehr.
    Ich war froh – vielleicht sogar ein wenig stolz –, als ich die Fabrikatoren und

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