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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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wichen die Zuschauer an die Wände der Kuppeln zurück und machten uns Platz. Ich hob die Hände. David pfiff noch einmal. Ich rief das Licht auf.
    Es schoss in einem goldenen Sturzbach in mich hinein und entströmte meinen Händen in Gestalt zweier steter Strahlen. Sie trafen die Schüsseln, die sie gleißend zurückwarfen. Das war eindrucksvoll, aber keineswegs umwerfend.
    Dann pfiff David erneut und die Schüsseln drehten sich ein Stückchen. Das Licht prallte von den verspiegelten Oberflächen ab, vervielfachte und bündelte sich zu zwei blendend weißen Strahlen, die das Zwielicht durchschnitten.
    Unter den Zuschauern, die ihre Augen beschirmten, erhob sich erstauntes Gemurmel. Das Spektakel schien nicht mehr das Problem zu sein.
    Die Strahlen schossen durch die Luft. Sie verströmten Kaskaden von Helligkeit und flirrender Hitze, schienen sich durch das Himmelszelt brennen zu wollen. David pfiff noch einmal kurz und beide Strahlen verschmolzen zu einer einzigen gleißenden Klinge aus Licht, die man unmöglich direkt anschauen konnte. Wenn der Schnitt ein Messer war, so war dies ein Breitschwert.
    Die Schüsseln senkten sich und der Strahl sauste nach unten. Das Publikum keuchte auf, als das Licht durch den Waldrand fuhr und die Baumspitzen absenste.
    Die Schüsseln senkten sich noch tiefer. Der Strahl fiel zuerst auf das Ufer, danach mitten in den See. Mit lautem Zischen stieg eine wabernde Dampfwolke zum Himmel auf, und die gesamte Wasseroberfläche schien kurzzeitig zu kochen.
    David blies erschrocken in die Trillerpfeife und ich ließ sofort die Hände sinken. Das Licht erlosch.
    Wir eilten an den Rand des Daches. Bei dem Anblick, der sich uns bot, stand uns der Mund offen.
    Ein riesiges Rasiermesser schien die Baumwipfel mit einem glatten, schrägen Schnitt vom Waldrand bis zum Seeufer gekappt zu haben. Der Lichtstrahl hatte einen glühenden Graben in die Erde gezogen, der bis zum See führte.
    »Es funktioniert«, sagte David wie benebelt. »Es hat tatsächlich funktioniert.«
    Nach einer kurzen Stille brach Zoja in lautes Gelächter aus. Sergej stimmte ein, danach Marie und Nadja. Plötzlich lachten und johlten alle, sogar der mürrische Tolja, der den verdutzten David auf seine breiten Schultern setzte. Soldaten umarmten Grischa, die Ratgeber des Zaren die Generäle, Nikolaj legte mit Paja, die noch die Schutzbrille trug, ein Tänzchen auf dem Dach hin und der Hauptmann der Palastgarde warf sich mir in die Arme.
    Wir jubelten, schrien und hüpften, bis der Palast zu beben schien. Wenn der Dunkle mit seinen Nitschewo’ja anrückte, würde er eine böse Überraschung erleben.
    »Los, schauen wir uns das mal genauer an!«, rief jemand und wir stürmten und schlitterten glucksend und kichernd die Treppen hinunter wie Kinder, wenn die Schulglocke läutet.
    Wir rannten durch den Kuppelsaal, stießen die Türen auf und drängten ins Freie. Alle anderen eilten die Stufen hinab und liefen zum See, aber ich blieb wie angewurzelt stehen.
    Maljen trat gerade aus dem Waldtunnel.
    »Geht vor«, sagte ich zu Nikolaj. »Ich komme nach.«
    Maljen kam mit gesenktem Kopf auf mich zu. Er sah mich nicht an, doch als er dicht vor mir stand, fiel mir auf, dass er blutunterlaufene Augen und eine hässliche Schramme auf einer Wange hatte.
    »Was ist passiert?«, fragte ich und wollte nach seinem Gesicht greifen. Er wich mir aus und ließ einen nervösen Blick zu den Dienern zucken, die vor den Türen des Kleinen Palastes standen.
    »Bin gegen eine Flasche Kwass gerannt«, sagte er. »Brauchst du irgendetwas?«
    »Du hast die Vorführung verpasst.«
    »Ich hatte keinen Dienst.«
    Ich ignorierte den schmerzhaften Stich in meiner Brust und sprach weiter. »Wir gehen zum See. Kommst du mit?«
    Er schien kurz zu zögern. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich will nur ein paar Münzen holen. Im Großen Palast wird Karten gespielt.«
    Wieder der Stich, jetzt noch schmerzhafter. »Möchtest du dich nicht umziehen?«, fragte ich. »Du siehst aus, als hättest du in deinen Kleidern geschlafen.« Ich bereute diese Worte sofort, aber sie schienen an Maljen abzuprallen.
    »Vielleicht habe ich genau das getan«, erwiderte er. »Sonst noch etwas?«
    »Nein.«
    »Moj Soverenij.« Er verneigte sich zackig und eilte die Stufen hinauf, als wollte er so rasch wie möglich von mir weg.
    Ich ging langsam zum See und hoffte, dass mein innerer Schmerz abflaute. Meine Freude über den Erfolg auf dem Dach war verflogen und ich fühlte mich so hohl wie ein

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