Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
war. Und er verschwand besser, bevor er merkte, wie wahr diese Worte waren.
Ich strich über die Illustration von Dwa Stolba. Waren es nur zwei Mühlen gewesen oder steckte mehr dahinter? Schwer zu sagen, wenn man diese Ruinen betrachtete.
»Weißt du, wie es Helden und Heiligen ergeht, Nikolaj?«, fragte ich, klappte das Buch zu und ging zur Tür. »Am Ende finden sie alle den Tod.«
Maljen mied mich den ganzen Nachmittag. Deshalb war ich überrascht, als er schließlich mit Tamar erschien, um mich zu Nikolajs Geburtstagsdiner zu geleiten. Ich hätte damit gerechnet, dass er Tolja bitten würde, für ihn einzuspringen. Vielleicht wollte er Abbitte für seine Pflichtvergessenheit leisten.
Ich hatte ernsthaft erwogen, das Diner ausfallen zu lassen, nur hatte ich weder einen guten Grund dafür, noch fiel mir eine überzeugende Ausrede ein, und wenn ich mich drückte, wären Zar und Zarin vermutlich beleidigt.
Ich zog eine leichte, aus schillernden goldenen Seidenbahnen genähte Kefta an. Das Oberteil, verziert mit Saphiren, tiefblau wie die Farbe der Beschwörer, passte zu den Juwelen in meinem Haar.
Maljen musterte mich kurz, als ich aus meinem Gemach trat, und mir kam der Gedanke, dass Zoja diese Farben besser gestanden hätten. Im nächsten Moment wunderte ich mich über mich selbst, denn Zoja war nicht das Problem, ganz gleich wie schön sie war. Das wahre Problem bestand darin, dass Maljen abreisen würde. Und dass ich ihn ziehen ließ. Die Schuld an unserem Zerwürfnis trug ich ganz allein.
Das Diner fand in einem prachtvollen Speisesaal im Großen Palast statt, auch als Adlerhorst bekannt, denn der riesige Deckenfries zeigte den gekrönten Doppeladler, in der einen Klaue ein Zepter, in der anderen ein Bündel schwarzer Pfeile, umwunden mit roten, blauen und purpurnen Bändern. Die Federn bestanden aus echtem Gold, was mich unwillkürlich an den Feuervogel erinnerte.
Am Tisch waren die hochrangigsten Generäle der Ersten Armee mit ihren jeweiligen Ehefrauen und die würdigsten Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen der Familie Lantsow versammelt. Die Zarin, die in ihrer blassrosa Seide wie eine welke Blume aussah, saß am einen Kopfende. Am anderen saß Wassili neben dem Zaren und versuchte, so zu tun, als bemerkte er nicht, dass sein Vater der jungen Frau eines Offiziers schöne Augen machte. Nikolaj saß in der Mitte der Längsseite und versprühte wie üblich seinen Charme. Ich hatte neben ihm Platz genommen.
Er hatte darum gebeten, auf einen Ball zu seinen Ehren zu verzichten, weil er dies angesichts der zahllosen vor den Stadtmauern hungernden Flüchtlinge für unangemessen hielt. Doch es war Beljanotsch, und Zar und Zarin hatten sich nicht beherrschen können: Dreizehn Gänge waren vorgesehen, einschließlich eines ganzen Ferkels und eines ansehnlichen Rehkitzes in Aspik.
Schließlich waren die Geschenke an der Reihe. Von seinem Vater bekam Nikolaj ein riesiges, hellblau glasiertes Ei, das beim Öffnen ein kunstvolles Miniaturschiff auf einer See aus Lapislazuli enthüllte. Sturmhonds rote Flagge wehte am Mast und die kleine Kanone feuerte mit leisem Ploppen und verströmte einen Hauch weißen Rauchs.
Während des Essens lauschte ich den Gesprächen nur mit halbem Ohr, weil ich Maljen nicht aus den Augen ließ. Die Leibgardisten des Zaren hatten an den Wänden Aufstellung genommen. Ich wusste, dass Tamar hinter mir wachte, aber Maljen stand direkt gegenüber in stocksteifer militärischer Haltung, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die Augen mit dem für Diener typischen leeren Blick geradeaus gerichtet. Es war eine Qual für mich, ihn so zu sehen. Wir waren nur wenige Schritte voneinander entfernt, aber es schienen Werst zu sein. War es seit unserer Ankunft in Os Alta nicht immer so gewesen? In meiner Brust krampfte sich alles zusammen und mit jedem Blick auf ihn fiel mir das Atmen schwerer. Er hatte sich rasiert und die Haare schneiden lassen. Seine Uniform war tadellos gebügelt. Er machte einen müden und abwesenden Eindruck, sah jedoch wieder aus wie der alte Maljen.
Die Adeligen sprachen Toasts auf Nikolajs Wohl aus. Die Generäle rühmten seinen Mut und seine Qualitäten als Heerführer. Ich erwartete, dass Wassili bei all dem Lob auf seinen Bruder höhnisch dreinschauen würde, doch er schien gute Laune zu haben. Seine Wangen waren vom Wein gerötet, sein Lächeln wirkte geradezu selbstzufrieden. Er war offenbar in bester Stimmung aus Karjewa zurückgekehrt.
Mein Blick zuckte
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