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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Mutter?«
    »Mutter, Tante, Nachbarin. Woher soll ich das wissen? Alina – was heute Nacht geschehen ist …«
    »Weitere Erinnerungen?«
    Er betrachtete mich lange und sagte schließlich seufzend: »Wenn ich Lakritze rieche, sehe ich mich immer auf einer Veranda sitzen, einen roten Stuhl vor der Nase. An mehr erinnere ich mich nicht. Alles andere …« Er zuckte mit den Schultern und verstummte.
    Er musste nichts erklären. Erinnerungen waren ein Luxus, den die Waisen von Keramzin nicht genossen hatten. Sei dankbar. Sei froh und dankbar.
    »Alina«, setzte Maljen neu an, »was du über den Dunklen erzählt hast …«
    In diesem Moment trat Nikolaj ein. Trotz der frühen Stunde war er ganz der Prinz, seine blonden Haare schimmerten, die Stiefel waren auf Hochglanz poliert. Er musterte Maljens Bartstoppeln und Schrammen und fragte mit hochgezogenen Augenbrauen: »Ich gehe davon aus, dass niemand nach Tee geläutet hat?«
    Er nahm Platz und streckte die langen Beine aus. Tolja und Tamar hatten schon Posten bezogen, aber ich bat sie, die Tür zu schließen und sich zu uns zu setzen.
    Sobald alle um den Tisch versammelt waren, sagte ich: »Heute früh war ich draußen bei den Pilgern.«
    Nikolaj riss den Kopf hoch. Seine Lässigkeit war verflogen. »Ich höre wohl nicht richtig.«
    »Ich bin wohlauf.«
    »Sie wäre fast getötet worden«, sagte Tamar.
    »Aber nur fast«, ergänzte ich.
    »Bist du vollkommen verrückt geworden?«, fragte Nikolaj. »Das sind Fanatiker.« Er wandte sich an Tamar und fragte: »Wie konntest du das zulassen?«
    »Ich hatte keinen Dienst«, erwiderte Tamar.
    »Ich hoffe, du warst nicht allein unterwegs«, sagte er zu mir.
    »Ich war nicht allein.«
    »Sie war allein.«
    »Sei still, Tamar. Wie gesagt, Nikolaj: Ich bin wohlauf.«
    »Aber nur, weil wir rechtzeitig an Ort und Stelle waren«, sagte Tamar.
    »Wie habt ihr das geschafft?«, fragte Maljen leise. »Wie habt ihr sie gefunden?«
    Tolja lief rot an und ließ eine riesige Faust auf den Tisch sausen. »So weit hätte es nicht kommen dürfen«, sagte er. »Du hattest Dienst.«
    »Schluss damit, Tolja«, befahl ich. »Maljen hat seine Pflicht vernachlässigt, und wie du gemerkt hast, kann ich mich auch ohne Begleitung dumm genug anstellen.«
    Ich holte Luft. Maljen wirkte niedergeschmettert. Tolja sah aus, als würde er gleich alle Möbel zertrümmern. Tamars Miene war eine Maske und Nikolaj war so zornig wie noch nie. Immerhin waren sie alle ganz Ohr.
    Ich schob den Atlas in die Tischmitte. »Die Pilger haben mehrere Namen für mich«, sagte ich. »Einer lautet Tochter von Dwa Stolba.«
    »Zweimühlen?«, fragte Nikolaj.
    »Ein Tal, benannt nach den Ruinen an seinem Eingang.«
    Ich öffnete den Atlas auf der markierten Seite. Sie zeigte eine genaue Karte der Grenzregion im Südwesten. »Maljen und ich stammen aus dieser Gegend«, sagte ich und zeigte auf den unteren Rand der Karte. »Hier gibt es eine ganze Reihe von Siedlungen.«
    Ich blätterte weiter zu einer Illustration, die ein von Orten übersätes Tal zeigte. Auf jeder Seite der Straße stand eine schmale Felsnadel.
    »Sieht ziemlich unscheinbar aus«, brummte Tolja.
    »Richtig«, sagte ich. »Diese Ruinen sind uralt. Und wer weiß schon, wann und wozu sie erbaut worden sind? Das Tal heißt Zweimühlen, aber die Ruinen könnten ebenso gut Teile eines Torhauses oder Aquädukts gewesen sein.« Ich ließ meinen Finger zwischen den Felsnadeln hin- und hergleiten. »Oder eines Bogens.«
    Im Raum wurde es plötzlich sehr still. Wenn man sich vorstellte, dass die Felsnadeln durch einen Bogen verbunden waren, ähnelten sie vor der Kulisse des fernen Gebirges auf verblüffende Weise dem Hintergrund auf der Darstellung von Sankt Ilja in den Istorii Sankt’ja . Nur der Feuervogel fehlte.
    Nikolaj zog den Atlas zu sich heran. »Vielleicht bilden wir uns das nur ein.«
    »Vielleicht«, gab ich zu. »Aber kann das ein Zufall sein? Ich halte das für unwahrscheinlich.«
    »Wir könnten Kundschafter hinschicken«, schlug er vor.
    »Nein«, sagte ich. »Ich will selbst dorthin.«
    »Wenn du jetzt gehst, wären alle deine Bemühungen um die Zweite Armee für die Katz. Ich werde mich auf den Weg machen. Wenn Wassili nach Karjewa verschwinden kann, um Pferde zu kaufen, darf ich wohl einen kurzen Jagdausflug unternehmen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Der Feuervogel muss durch meine Hand sterben.«
    »Wir haben nicht die Gewissheit, dass er wirklich dort zu finden ist.«
    »Warum diese

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