Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Diskussion?«, fragte Maljen. »Wir wissen doch alle, dass ich mich aufmachen werde.«
Tamar und Tolja tauschten einen unbehaglichen Blick.
Nikolaj räusperte sich. »Bei allem Respekt, Oretsew, aber du bist nicht gerade in Höchstform.«
»Ich bin in guter Verfassung.«
»Hast du in letzter Zeit einmal in den Spiegel geschaut?«
»Das tust du oft genug für uns beide«, gab Maljen zurück und rieb sich das Gesicht. Er wirkte noch müder als zuvor. »Ich bin zu zerschlagen und verkatert, um zu diskutieren. Ich bin der Einzige, der den Feuervogel finden kann. Also werde ich dorthin aufbrechen.«
»Ich begleite dich«, sagte ich.
»Nein«, erwiderte er überraschend nachdrücklich. »Ich werde ihn aufspüren. Ich werde ihn fangen. Ich werde ihn dir bringen. Aber du wirst mich nicht begleiten.«
»Das wäre zu riskant«, wandte ich ein. »Selbst wenn es dir gelingen würde, ihn zu finden – wie würdest du ihn hierherschaffen?«
»Deine Fabrikatoren sollen irgendeine Vorrichtung bauen«, sagte er. »Damit wäre allen gedient. Du bekommst den Feuervogel und ich kann diesen verfluchten Ort verlassen.«
»Aber du kannst nicht allein reisen. Du …«
»Dann gib mir Tolja oder Tamar mit. Zu zweit sind wir schneller und erregen weniger Aufmerksamkeit.« Maljen schob den Stuhl zurück und stand auf. »Überleg es dir.« Er sah mich nicht an, als er hinzufügte: »Sag mir Bescheid, wann ich aufbrechen darf.«
Bevor ich noch etwas einwenden konnte, war er gegangen.
Ich wandte mich ab, versuchte die drohenden Tränen zu unterdrücken. Ich hörte, wie Nikolaj den Zwillingen, die ebenfalls gehen wollten, Anweisungen zuflüsterte.
Ich betrachtete die Landkarte. Poliznaja, wo wir unseren Wehrdienst abgeleistet hatten. Rjewost, der Ausgangspunkt unserer Reise in das Petrazoj-Gebirge. Tsibeja, wo er mich zum ersten Mal geküsst hatte.
Nikolaj legte mir eine Hand auf die Schulter. Einerseits hätte ich sie gern abgeschüttelt, andererseits wäre ich gern in seine Arme gesunken. Was würde er in diesem Fall tun? Meinen Rücken tätscheln? Mich küssen? Mir einen Heiratsantrag machen?
»Es ist das Beste so, Alina.«
Ich lachte verbittert. »So etwas sagt man immer nur, um über das Gegenteil hinwegzutäuschen.«
Er zog die Hand fort. »Er gehört nicht hierher.«
Er gehört zu mir , hätte ich am liebsten geschrien. Aber ich wusste, dass es nicht stimmte. Ich dachte an Maljens von Schrammen übersätes Gesicht, daran, dass er wie ein Tier in der Falle auf und ab gelaufen war, dass er Blut ausgespuckt und Eskil aufgefordert hatte, ihn anzugreifen. Los, weiter . Ich dachte daran, wie er mich auf der Wahren See in den Armen gehalten hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen und die Landkarte verschwamm.
»Lass ihn gehen«, sagte Nikolaj.
»Und wohin? Auf die Jagd nach einem sagenhaften Wesen, das vielleicht gar nicht existiert? Auf eine zum Scheitern verurteilte Suche in einem Gebirge, in dem es von Shu nur so wimmelt?«
»Alina«, sagte Nikolaj leise. »So machen es Helden.«
»Er soll kein Held sein!«
»Er ist, wie er ist, und du bist, wie du bist – eine Grischa. Das ist nicht zu ändern.«
Das klang wie ein Echo dessen, was ich vor wenigen Stunden gesagt hatte. Ich wollte es trotzdem nicht hören.
»Maljens Schicksal ist dir vollkommen gleichgültig«, sagte ich zornig. »Du willst ihn nur loswerden.«
»Wenn ich dich Maljen entfremden wollte, dann würde ich dafür sorgen, dass er bleibt, seinen Kummer in Kwass ersäuft und sich weiterhin aufführt wie ein liebeskranker Idiot. Willst du wirklich, dass er ein solches Leben führt?«
Ich holte bebend Luft. Nein, das wollte ich nicht. Ganz sicher nicht. Maljen quälte sich hier. Er quälte sich seit dem Tag unserer Ankunft und ich hatte die Augen davor verschlossen. Ich hatte ihm vorgeworfen, dass er sich wünschte, ich würde mein Wesen ändern, hatte aber die ganze Zeit das Gleiche von ihm verlangt. Ich wischte mir die Tränen von den Wangen. Es war sinnlos, mit Nikolaj zu diskutieren. Maljen war ein Soldat gewesen. Er wollte ein Ziel vor Augen haben. Und hier war eines, vorausgesetzt, ich gönnte es ihm.
Außerdem durfte ich mir nichts vormachen. Ich hatte zwar Einwände, aber es gab eine gierige, unersättliche Stimme in meinem Inneren, die forderte, dass Maljen aufbrach und den Feuervogel fand, die verlangte, dass er ihn mir brachte, und zwar um jeden Preis. Ich hatte zu Maljen gesagt, dass es das Mädchen nicht mehr gab, das ich einst gewesen
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