Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
wieder zu Maljen. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich weinen oder aufstehen und Teller gegen die Wand werfen sollte. Der Saal kam mir überheizt vor und meine Schulterwunde juckte und spannte wieder. Ich musste gegen den Drang ankämpfen, mich zu kratzen.
Na toll , dachte ich bedrückt. Vielleicht habe ich hier im Speisesaal noch eine Halluzination und sehe den Dunklen, wie er aus der Suppenterrine steigt.
Nikolaj flüsterte mir zu: »Ich weiß ja, dass du keinen großen Wert auf meine Gesellschaft legst, aber könntest du dich ein wenig mehr anstrengen? Du siehst aus, als müsstest du jeden Moment in Tränen ausbrechen.«
»Verzeihung«, murmelte ich. »Ich bin nur …«
»Ich weiß«, sagte er und drückte unter dem Tisch meine Hand. »Aber das Aspik-Rehkitz hat sein Leben gelassen, damit du dich amüsierst.«
Ich versuchte zu lächeln und riss mich zusammen. Ich lachte, plauderte mit dem rotgesichtigen General zu meiner Rechten und heuchelte Interesse, als der mir gegenüber sitzende, sommersprossige Lantsow-Sprössling von der Instandsetzung seines geerbten Landhauses erzählte.
Nachdem die Eiscreme serviert worden war, stand Wassili auf und hob sein Glas mit Champagner.
»Bruder«, sagte er, »es freut mich, dass ich heute auf deine Geburt anstoßen und mit dir feiern kann, nachdem du dich so lange an anderen Gestaden aufgehalten hast. Ich proste dir zu und trinke auf deine Ehre. Auf dein Wohl, kleiner Bruder!«
»Ne zalost!« , riefen die Gäste im Chor, tranken einen tiefen Schluck und setzten ihre Gespräche danach fort.
Doch Wassili war noch nicht fertig. Er klopfte mit der Gabel gegen sein Glas und bei dem lauten Klimpern wandten die Gäste ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu.
»Heute«, verkündete er, »haben wir mehr zu feiern als den edlen Geburtstag meines Bruders.«
Diese Betonung hätte schon gereicht, aber Wassili grinste auch noch hämisch. Nikolaj lächelte standhaft.
»Wie ihr alle wisst«, fuhr Wassili fort, »war ich während der letzten Wochen auf Reisen.«
»Und Ihr habt zweifellos Geld verprasst«, kicherte der rotgesichtige General. »Müsst Euch gewiss bald einen neuen Pferdestall bauen lassen.«
Wassilis Blick war eisig. »Ich war nicht in Karjewa. Vielmehr bin ich auf einer von unserem lieben Vater unterstützten Mission nach Norden gereist.«
Neben mir erstarrte Nikolaj.
»Zu meiner großen Freude kann ich nach langen und heiklen Verhandlungen verkünden, dass die Fjerdan uns im Kampf gegen den Dunklen beistehen. Sie haben mir nicht nur Truppen, sondern auch Nachschub zugesichert.«
»Wie ist das möglich?«, fragte einer der Adeligen.
Wassili reckte stolz die Brust. »Glaubt es mir. Nach meinen nicht ganz einfachen Bemühungen ist unser Erzfeind nun unser mächtigster Verbündeter.«
Alle begannen aufgeregt durcheinanderzureden. Der Zar strahlte und umarmte seinen ältesten Sohn. »Ne Rawka!« , rief er und hob das Champagnerglas.
»Ne Rawka!«, sangen die Gäste.
Zu meiner Überraschung runzelte Nikolaj die Stirn. Er hatte gesagt, sein Bruder ziehe den Weg des geringsten Widerstands vor, und wie es schien, hatte Wassili einen solchen Weg gefunden. Aber Nikolaj wäre nicht Nikolaj gewesen, wenn er sich offen verbittert oder enttäuscht gezeigt hätte.
»Eine außergewöhnliche Leistung, Bruder. Darauf möchte ich anstoßen«, sagte Nikolaj und hob das Glas. »Darf ich fragen, worin die Gegenleistung für diese Unterstützung besteht?«
»Sie haben hart verhandelt«, antwortete Wassili mit einem nachsichtigen Lachen, »aber nichts Unmögliches verlangt. Sie möchten unsere Häfen in West-Rawka anlaufen und bitten um Unterstützung bei der Verteidigung der südlichen Handelsrouten gegen Piraten der Semeni. Ich denke, du wirst dabei eine große Hilfe sein, Bruder«, sagte er und lachte wieder selbstzufrieden. »Sie haben verlangt, dass die Sperrung einiger Holzhandelswege im Norden aufgehoben wird, und nach dem Sieg über den Dunklen erwarten sie, dass die Sonnenkriegerin bei der Zurückdrängung der Schattenflur hilft.«
Er grinste mich breit an. Das war zwar anmaßend, aber war ich natürlich auch als Haupt der Zweiten Armee eine Untertanin des Zaren. Ich nickte so würdevoll wie möglich.
»Welche Handelswege?«, fragte Nikolaj.
Wassili schwenkte eine Hand. »Irgendwo südlich von Halmhend, westlich des Ewigen Frostes. Die Wege stehen unter dem Schutz des Forts in Ulensk, falls die Fjerdan auf dumme Ideen kommen sollten.«
Nikolaj stand auf. Die
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