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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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zuliebe«, sagte er und lächelte.
    »Du brauchst maßlos viel Zuwendung.«
    Er küsste mich auf den Kopf. »Wir finden einen Ausweg, Alina. Das haben wir immer geschafft.«
    Ich drückte meine in Ketten liegenden Hände gegen seine Brust und schloss die Augen. Wir waren allein auf frostiger See, als Gefangene eines Mannes, der Ungeheuer erschaffen konnte, und trotzdem glaubte ich Maljen. Ich schmiegte mich an ihn und gestattete mir zum ersten Mal seit vielen Tagen ein Fünkchen Hoffnung.
    Da erschallte ein Ruf: »Zwei Strich steuerbord vom Bug!«
    Alle Köpfe fuhren gleichzeitig herum und ich erstarrte. Im Nebel bewegte sich etwas, ein glänzender, schlängelnder, weißer Schemen.
    »Bei allen Heiligen«, hauchte Maljen.
    Da durchbrach ein Rücken die Wellen. Ein sehniger Körper schoss im hohen Bogen aus dem Wasser, schimmernde Schuppen brachen das Licht in allen Farben des Regenbogens.
    Rusalje.

Rusalje war ein Märchen, eine Sage, ein Geschöpf der Träume, das an den Rändern der Karten zu Hause war. Und doch konnte es keinen Zweifel daran geben: Der Eisdrache war nicht nur Einbildung und Maljen hatte ihn aufgespürt wie schon den Hirsch. Alles geschah so schnell und es fühlte sich ungut an – als würden wir auf ein vollkommen unbekanntes Ziel zurasen.
    Da ertönte ein Ruf. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass ein Mann in dem Boot, das der Meeresgeißel am nächsten war, mit der Harpune ausholte. Aber der weiße Drachenschwanz peitschte das Meer, teilte die Wellen und tauchte klatschend wieder ein, und das Boot wurde von einer anrollenden Woge getroffen. Es legte sich gefährlich schief und richtete sich im allerletzten Moment wieder auf, der Mann mit der Harpune schlug hart auf die Bank.
    Gut so , dachte ich. Wehr dich.
    Die Besatzung des anderen Bootes ließ die Harpunen fliegen. Die erste ging weit daneben und versank im Meer. Die zweite bohrte sich ins Fleisch der Meeresgeißel.
    Sie krümmte sich mit hin und her schnellendem Schwanz, bäumte sich auf wie eine Schlange und riss den Körper aus dem Wasser. Einen Lidschlag lang stand sie in der Luft: mit durchscheinenden, schwingenartigen Flossen, schimmernden Schuppen, zornigen roten Augen. Wassertropfen flogen von ihrer Mähne, und als sie die gewaltigen Kiefer aufriss, zeigten sich eine rosafarbene Zunge und Reihen glitzernder Zähne. Sie stürzte auf ein Boot, Planken barsten mit lautem Krachen, das schmale Boot zerbrach und die Besatzung fiel ins Meer. Der Drache schnappte nach den Beinen eines Mannes, der schreiend in den Fluten versank. Die übrigen Männer schwammen mit verzweifelten Stößen durch das blutige Wasser zum zweiten Boot. Dort wurden sie über die Reling gehievt.
    Ich sah zur Takelage des Walfängers auf. Die Spitzen der Masten lagen jetzt im Nebel, aber ich konnte oben auf dem Großmast den steten Schein von Tamars Laterne erkennen.
    Eine zweite Harpune traf ihr Ziel und die Meeresgeißel stimmte einen Gesang an, schöner als alles, was ich jemals gehört hatte – wie ein vielstimmiger Chor, der ein wortloses Klagelied intonierte. Nein , wurde mir bewusst, kein Lied. Die Meeresgeißel schrie, während sie sich in den Fluten wand und krümmte und die Widerhaken der Harpunen abzuschütteln versuchte. Die Boote ergriffen die Flucht. Du musst kämpfen , flehte ich im Stillen. Wenn er dich einmal in den Fängen hat, lässt er dich nie wieder los.
    Aber der Drache begann schon jetzt zu erlahmen. Seine Bewegungen wurden träger, seine Schreie kraftloser und leiser, die Melodie eintöniger und klagender.
    Ich wünschte beinahe, der Dunkle würde einen Schlusspunkt setzen. Warum tat er das nicht? Warum erledigte er die Meeresgeißel nicht mit dem Schnitt und band mich dann an sie, wie er mich an den Hirsch gebunden hatte?
    »Netze!«, schrie Sturmhond. Der Nebel war so dicht, dass ich nicht genau ausmachen konnte, wo seine Stimme ertönte. An Backbord erklang wiederholt ein dumpfes Poltern.
    »Lichtet den Nebel«, befahl der Dunkle. »Sonst verlieren wir das Boot aus den Augen.«
    Ich hörte, wie die Grischa einander etwas zuriefen, und im nächsten Moment rissen die Winde der Stürmer an meinem Mantelsaum.
    Der Nebel verflog und beim Anblick, der sich mir bot, staunte ich mit offenem Mund. Der Dunkle und die Grischa standen auf der Steuerbordseite, ganz auf das Boot konzentriert, das sich von unserem Walfänger zu entfernen schien. Doch an Backbord war wie aus dem Nichts ein Schiff aufgetaucht, ein schlanker Schoner mit glänzenden Masten

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