Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
sich, als er mit den Ketten kämpfte. Der Anblick war unerträglich.
»Es geht mir gut«, sagte ich leise und riskierte damit, dass der Dunkle das Messer zog. »Er kann mir nicht wehtun.« Das war natürlich eine Lüge, aber sie fühlte sich richtig an.
Der Dunkle ließ einen Blick von mir zu Maljen zucken und ich spürte die gähnende, leere Kluft in seinem Inneren. »Nur keine Sorge, Fährtensucher. Du wirst schon merken, wann unsere Abmachung endet.« Er stieß mich unter Deck, aber ich konnte noch hören, was er zu Maljen sagte: »Du wirst ihre Schreie hören, verlass dich darauf.«
Die Woche schleppte sich dahin und am sechsten Tag wurde ich in aller Frühe von Genja geweckt. Nachdem ich meine Benommenheit abgeschüttelt hatte, stellte ich fest, dass die Morgendämmerung gerade erst angebrochen war. Angst durchzuckte mich. Vielleicht hatte der Dunkle beschlossen, meine Gnadenfrist zu verkürzen und seine Drohung wahr zu machen.
Aber Genja strahlte.
»Er hat etwas aufgespürt!«, rief sie und wippte auf den Fußballen, tanzte regelrecht, während sie mir aus der Koje half. »Der Fährtensucher sagt, dass wir bald am Ziel sind!«
»Er heißt Maljen«, murmelte ich und machte mich los. Ihre verletzte Miene war mir egal.
Ob das stimmt? , fragte ich mich, während ich von Genja nach oben geführt wurde. Oder hoffte Maljen, dadurch etwas mehr Zeit erkaufen zu können?
Wir betraten das Deck im grauen Licht der Dämmerung. Überall standen Grischa und starrten auf das Meer, während die Stürmer die Winde aufriefen und Sturmhonds Besatzung mit den Segeln beschäftigt war.
Der Nebel war noch dichter als am Vortag. Er lag schwer auf dem Wasser, schlängelte sich in feuchten Schwaden über den Schiffsbug. Die Stille wurde nur von Maljens lauten Anweisungen unterbrochen, die Sturmhond in Befehle umsetzte.
Schließlich erreichten wir einen weiten Meeresstreifen, über dem der Nebel etwas lichter war. Maljen drehte sich zum Dunklen um und sagte: »Ich glaube, wir sind ganz nahe.«
»Du glaubst es?«
Maljen nickte kurz.
Der Dunkle überlegte. Wenn Maljen auf Zeit spielte, würde er damit wenig gewinnen und der Preis wäre hoch.
Nach einer gefühlten Ewigkeit nickte der Dunkle Sturmhond zu.
»Segel setzen«, befahl der Freibeuter.
Iwan tippte dem Dunklen auf die Schulter und zeigte nach Süden. »Ein Schiff, moj Soverenij .«
Ich kniff die Augen zusammen, um den winzigen Fleck am Horizont besser erkennen zu können.
»Führt es eine Flagge?«, wollte der Dunkle von Sturmhond wissen.
»Vermutlich Fischer«, sagte Sturmhond. »Wir behalten sie vorsichtshalber im Auge.« Er winkte einem seiner Männer, der mit einem langen Fernrohr in der Hand auf den Großmast kletterte.
Die Beiboote wurden klargemacht und kurz darauf an Steuerbord zu Wasser gelassen, bemannt mit Sturmhonds Männern und schwer bewaffnet mit Harpunen. Die Grischa des Dunklen drängten sich an der Reling, um die Boote im Blick zu behalten. Der Nebel schien das Klatschen, mit dem die Ruder in die Wellen tauchten, um ein Vielfaches zu verstärken.
Ich wagte einen Schritt auf Maljen zu. Alle Blicke waren auf die Männer in den Booten gerichtet. Nur Genja ließ mich nicht aus den Augen. Sie wandte sich nach kurzem Zögern demonstrativ ab und gesellte sich zu den anderen an der Reling.
Maljen und ich schauten geradeaus, waren einander aber so nahe, dass unsere Schultern sich berührten.
»Geht es dir auch wirklich gut?«, murmelte er heiser.
Ich nickte und schluckte den Kloß im Hals hinunter. »Ja, es geht mir gut«, sagte ich leise. »Sind wir wirklich am Ziel?«
»Schwer zu sagen. Vielleicht. Während unserer Suche nach dem Hirsch glaubte ich manchmal, wir wären ihm dicht auf den Fersen, und dann … Was, wenn ich mich irre, Alina?«
Ich drehte mich zu ihm. Es war mir egal, ob man uns sah oder welche Strafe mir drohte. Der Nebel wallte auf dem Wasser und kroch über das Deck. Während ich Maljen ansah, nahm ich jede Einzelheit seines Gesichts in mich auf: das helle Blau der Iris, den Schwung seiner Lippen, die Narbe am Kinn. Hinter ihm bemerkte ich Tamar, die mit einer Laterne in der Hand die Takelage erklomm.
»Nichts von alledem ist deine Schuld, Maljen. Gar nichts.«
Er senkte den Kopf, lehnte seine Stirn gegen meine. »Ich werde nicht zulassen, dass er dir wehtut.«
Wir wussten beide, dass das nicht in seiner Macht lag, aber diese Wahrheit wäre zu schmerzhaft gewesen, und so sagte ich nur: »Ich weiß.«
»Das sagst du nur mir
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