Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
vor den Kopf gestoßen zu Tamar, die mit ihrem blutigen Säbel über dem Toten stand. Seine Konzentration schien ins Wanken zu kommen, denn in diesem Moment kam Tolja mit einem entsetzlichen Brüllen auf die Beine.
Iwan krümmte die Finger und versuchte sich wieder zu konzentrieren. Tolja verzog das Gesicht, blieb jedoch stehen. Er ließ eine Hand nach vorn schießen und Iwans Gesicht verzerrte sich zu einer Maske des Schmerzes und der Verblüffung.
Mein Blick zuckte von Tolja zu Tamar und mir dämmerte, dass sie Grischa waren. Entherzer.
»Na? Gefällt dir das, kleiner Mann?«, fragte Tolja, während er auf Iwan zuschritt. Iwan warf verzweifelt die andere Hand aus. Er zitterte und rang um Atem.
Tolja kam nur kurz ins Wanken. »Jetzt werden wir erfahren, wer von uns beiden das kräftigere Herz hat«, knurrte er.
Er ging so langsam weiter, als würde er gegen heftigen Wind ankämpfen. Sein Gesicht war schweißbedeckt und er hatte die Zähne zu einem blutrünstigen Grinsen gebleckt. Ich befürchtete, dass er und Iwan gleichzeitig tot zu Boden gehen würden.
Dann schlossen sich die Finger von Toljas ausgestreckter Hand zur Faust. Iwan erbebte am ganzen Körper. Er verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Auf seinen Lippen blühte eine Blutblase auf und zerplatzte. Dann brach er auf den Planken zusammen.
Ich wurde mir wieder des ringsumher tobenden Aufruhrs bewusst. Tamar kämpfte mit einem Stürmer. Zwei andere Grischa waren auf Tolja losgegangen. Ich hörte einen Schuss und sah, dass Maljen eine Pistole erbeutet hatte. Aber ich hatte nur Augen für Iwans leblosen Körper.
Er war tot. Die rechte Hand des Dunklen. Einer der mächtigsten Entherzer der Zweiten Armee. Er hatte die Schattenflur und die Volkra überlebt, und nun war er tot.
Ein leises Schluchzen riss mich aus meinen Gedanken. Genja schaute auf Iwan hinab, eine Hand vor den Mund gelegt.
»Genja …«, sagte ich.
»Halte sie auf!« Der Ruf ertönte weiter hinten an Deck. Ich drehte mich um und erblickte den Dunklen, der mit einem bewaffneten Matrosen rang.
Genja erbebte. Sie griff in die Tasche ihrer Kefta und zog eine Pistole. Tolja sprang auf sie zu.
»Nein!«, sagte ich und trat zwischen die beiden. Ich würde nicht zulassen, dass er Genja tötete.
Die schwere Pistole zitterte in ihrer Hand.
»Genja«, sagte ich leise, »willst du mich wirklich erschießen?« Sie sah hektisch umher, schien nicht zu wissen, worauf sie zielen sollte. Ich legte ihr eine Hand auf den Arm. Sie zuckte zurück und richtete die Waffe auf mich.
Ein Donnerschlag zerriss die Luft und verriet mir, dass der Dunkle die Oberhand gewonnen hatte. Ich fuhr wieder herum und sah, wie eine finstere Welle auf uns zuwogte. Das ist das Ende , dachte ich, nun ist alles vorbei . Da sah ich einen grellen Blitz, hörte einen Schuss. Die finstere Woge zerstob zu nichts und der Dunkle griff mit wütender, schmerzerfüllter Miene an seinen Arm. Da wurde mir klar, dass man ihn angeschossen hatte.
Sturmhond rannte auf uns zu, in jeder Hand eine Pistole. »Lauft!«, brüllte er.
»Los, Alina!«, rief Maljen und griff nach meinem Arm.
»Genja«, sagte ich verzweifelt, »komm mit uns.«
Ihre Hand zitterte so heftig, dass ich glaubte, die Pistole würde ihr entgleiten. Tränen strömten über ihre Wangen.
»Unmöglich«, stieß sie schluchzend hervor und senkte die Waffe. »Lauf, Alina«, sagte sie. »Schnell.«
Im nächsten Moment lag ich wieder über Toljas Schulter. Ich schlug vergeblich auf seinen breiten Rücken ein. »Nein!«, schrie ich. »Warte!«
Aber niemand hörte auf mich. Tolja nahm Anlauf und schwang sich über die Reling. Ich schrie, als das eiskalte Wasser näher kam, machte mich auf das Eintauchen gefasst. Stattdessen wurden wir von etwas aufgefangen, das nur die Windböe eines Stürmers sein konnte, und auf den Schoner gefegt. Wir landeten hart und schmerzhaft auf dem Deck, dicht gefolgt von Tamar und Maljen und kurz darauf von Sturmhond.
»Gebt das Signal«, brüllte Sturmhond und sprang auf.
Der schrille Pfiff einer Trillerpfeife.
»Priwjet«, schrie er einem mir unbekannten Seemann zu. »Wie viele sind wir?«
»Unten acht Mann«, antwortete Priwjet. »Vier sind noch auf dem Walfänger. Fracht ist unterwegs.«
»Bei allen Heiligen«, fluchte Sturmhond und drehte sich zum Walfänger um. Er schien mit sich zu ringen. »Musketiere!«, rief er den Männern auf dem Großmast des Schoners zu. »Gebt ihnen Feuerschutz!«
Die Musketiere feuerten Salve
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