Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
zwischen Rausch und Hysterie. Wir flogen. Flogen .
Maljen drückte meine Hand und jauchzte begeistert.
»Das ist doch unmöglich!«, rief ich.
Sturmhond stieß einen Jubelschrei aus. »Wenn die Leute ›unmöglich‹ sagen, meinen sie meist ›unwahrscheinlich‹.« Mit den im Mondschein blitzenden Brillengläsern und seinem wild wehenden Militärmantel wirkte er wie ein Wahnsinniger.
Ich versuchte wieder zu Atem zu kommen. Der Wind ließ nicht nach. Stürmer und Besatzung arbeiteten hoch konzentriert, aber gelassen. Der Knoten in meiner Brust löste sich Schritt für Schritt und ich begann mich zu entspannen.
»Woher hast du dieses Schiff?«, schrie ich Sturmhond zu.
»Ich habe es entworfen. Ich habe es gebaut. Und ich bin mit mehreren Prototypen abgestürzt.«
Ich musste schlucken. Absturz war das letzte Wort, das ich jetzt hören wollte.
Maljen beugte sich über den Rand des Decks, um die großen Kanonen besser sehen zu können, die in die Spitzen der zwei Rümpfe gesetzt worden waren.
»Diese Kanonen«, sagte er. »Sie haben mehrere Läufe.«
»Und sie nutzen die Schwerkraft. Zum Nachladen muss man keine Pause machen. Sie feuern zweihundert Schuss in der Minute.«
»Das ist …«
»Unmöglich? Das einzige Problem ist die Überhitzung, aber bei diesem Modell fällt sie kaum ins Gewicht. Ich habe einen Büchsenmacher der Semeni damit beauftragt, die Fehler auszubügeln. Barbarische kleine Bastarde, aber mit Waffen kennen sie sich aus. Die Kanonen sind beweglich, so dass man aus jedem Winkel feuern kann.«
»Man kann den Feind von oben beschießen«, fügte Maljen fast schwärmerisch hinzu. »Wenn Rawka eine solche Flotte hätte …«
»Ja, das wäre ein großer Vorteil. Aber dazu müssten die Erste und die Zweite Armee zusammenarbeiten.«
Ich dachte an das, was der Dunkle mir vor langer Zeit gesagt hatte: Das Zeitalter, in dem die Macht der Grischa alles beherrschte, neigt sich dem Ende entgegen. Er hatte darauf reagiert, indem er die Schattenflur in eine Waffe verwandelt hatte. Aber wenn Männer wie Sturmhond die Macht der Grischa auf eine neue Art nutzten? Was wäre dann? Ich warf einen Blick über das Deck der Kolibri , auf die Hand in Hand arbeitenden Seeleute und Stürmer, auf Tolja und Tamar, die an den furchterregenden Geschützen saßen. Nein, es war nicht unmöglich.
Er ist ein Freibeuter , rief ich mir in Erinnerung. Und er wäre im Handumdrehen ein Kriegsgewinnler. Sturmhonds Waffen würden Rawka gewiss einen Vorteil verschaffen, aber sie konnten auch vom Feind eingesetzt werden.
Ein helles Licht, das an Backbord vor dem Bug aufleuchtete, riss mich aus meinen Gedanken. Der große Leuchtturm in der Bucht von Alkhem. Das Land war nah. Als ich den Hals reckte, konnte ich schon die glitzernden Türme im Hafen von Os Kerwo erkennen.
Sturmhond hielt nicht direkt darauf zu, sondern ging auf Südwestkurs. Er wollte offenbar tiefer im Landesinneren landen. Der Gedanke an die Landung beunruhigte mich und ich beschloss, die Augen zuzumachen, wenn es so weit war, egal, was Maljen sagte.
Das Licht des Leuchtturms verlor sich rasch in der Ferne. Wie weit nach Süden wollte Sturmhond fliegen? Er hatte erklärt, die Küste vor der Morgendämmerung erreichen zu wollen, die in gut zwei Stunden anbrechen würde.
Dann wurden meine Gedanken wieder von den ringsumher glitzernden Sternen und den am Himmel dahineilenden Wolken abgelenkt. Der Nachtwind peitschte meine Wangen und schien den dünnen Mantelstoff glatt zu durchdringen.
Als ich das nächste Mal nach unten schaute, musste ich einen Schrei unterdrücken. Wir befanden uns nicht mehr über dem Meer. Sondern über dem Land – festem, unnachgiebigem Land.
Ich zupfte Maljen am Ärmel und zeigte hektisch auf die unter uns liegende Landschaft, die vom Mondschein in Silber getaucht war.
»Sturmhond!«, rief ich voller Panik. »Was tust du?«
»Du wolltest uns nach Os Kerwo bringen«, schrie Maljen.
»Ich habe gesagt, dass ich euch zu meinem Auftraggeber bringe.«
»Egal«, heulte ich. »Aber wo landen wir?«
»Keine Sorge«, antwortete Sturmhond. »Ich denke da an einen hübschen, kleinen See.«
»Wie klein?«, quiekte ich und sah, dass Maljen mit wütender Miene aus dem Mittschiff kletterte. »Setz dich, Maljen!«
»Du verlogener, räuberischer …«
»Bleib, wo du bist. Oder willst du durchgeschüttelt werden, wenn wir in die Schattenflur eintreten?«
Maljen erstarrte. Sturmhond pfiff wieder die schiefe Melodie, der Wind riss die Töne mit
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