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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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stiegen wir zum Mittschiff hinab. Dort ragten zwei Masten auf, zwischen denen ein kleines Deck lag. Sturmhond sprang hinterher und schwang sich auf die Plattform mit dem Steuer.
    »Welche Art von Schiff ist das?«, fragte ich.
    »Ich nenne es Kolibri «, sagte er und senkte den Blick auf eine Karte. »Aber ich erwäge, es in Feuervogel umzutaufen.« Ich holte scharf Luft, aber Sturmhond grinste mich nur an und befahl: »Anker kappen und ablegen!«
    Tamar und Tolja lösten die Haken, die uns mit der Wolkwolnij verbanden. Das Ankertau schlängelte sich über den Bug der Kolibri und verschwand lautlos im Meer. Ich hätte gedacht, dass wir den Anker im Hafen noch brauchen würden, aber Sturmhond wusste wohl, was er tat.
    »Segel hissen«, rief Sturmhond.
    Die Segel entrollten sich. Die Masten der Kolibri waren zwar viel kleiner als die des Schoners, hatten jedoch zwei riesige, rechteckige Segel, die von jeweils zwei Seeleuten gehisst werden mussten.
    Eine leichte Brise ließ das Segeltuch flattern und wir entfernten uns von der Wolkwolnij . Als ich den Kopf hob, sah ich, dass Sturmhond dem Schoner nachschaute. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber irgendetwas sagte mir, dass er Abschied von seinem Schiff nahm. Er schüttelte sich, dann rief er: »Stürmer!«
    Am Bug eines jeden Schiffsrumpfes stand ein Grischa. Sie hoben die Arme und ein Wind blähte die Segel. Sturmhond korrigierte den Kurs und bat um mehr Tempo. Die Stürmer gehorchten und das sonderbare kleine Boot schoss voran.
    »Setzt die auf«, sagte Sturmhond, hielt mir eine Schutzbrille hin und warf Maljen eine weitere zu. Sie glichen jenen, die die Fabrikatoren in den Werkstätten des Kleinen Palastes trugen. Als ich mich umschaute, stellte ich fest, dass alle Besatzungsmitglieder, auch Sturmhond, eine solche Brille trugen. Maljen und ich zogen sie über den Kopf.
    Kurz darauf, als Sturmhond noch mehr Tempo forderte, war ich dankbar für diesen Schutz. Über uns in der Takelage knatterten die Segel und ich spürte einen Anflug von Nervosität. Warum hatte er es so eilig?
    Die Kolibri schoss über das Meer. Ihre zwei flachen Rümpfe glitten von Welle zu Welle, schienen die Wasseroberfläche kaum zu berühren. Ich klammerte mich an meinen Sitz und bei jedem Rütteln des Schiffs rutschte mein Magen nach oben.
    »Hoch mit uns, Stürmer«, befahl Sturmhond. »Matrosen an die Schwingen. Ich zähle bis fünf.«
    Ich drehte mich zu Maljen um. »›Hoch mit uns‹? Was meint er denn damit?«
    »Eins!«, rief Sturmhond.
    Die Matrosen begannen, gegen den Uhrzeigersinn im Kreis zu gehen und an den Leinen zu ziehen.
    »Zwei!«
    Die Stürmer breiteten ihre Arme noch weiter aus.
    »Drei!«
    Zwischen den zwei Masten hob sich eine Spiere und zog die Segel zur Seite.
    »Vier!«
    »Hoch!«, riefen die Matrosen. Die Stürmer schwangen die Arme in einem weiten Bogen nach oben.
    »Fünf!«, brüllte Sturmhond.
    Die Segel klatschten erst nach innen, dann nach außen und rasteten hoch über dem Deck waagerecht ein wie zwei gewaltige Schwingen. Mein Magen verkrampfte sich und das Unvorstellbare geschah: Die Kolibri erhob sich in die Luft.
    Ich packte meinen Sitz noch fester, murmelte halblaut alte Gebete vor mich hin und kniff die Augen zu, während der Wind mein Gesicht peitschte. Wir stiegen auf in den Nachthimmel.
    Sturmhond lachte wie ein Irrer. Die Stürmer riefen einander abwechselnd etwas zu und versuchten, den Aufwind so gleichmäßig wie möglich zu halten.
    Bei allen Heiligen , dachte ich entsetzt. Ich träume wohl.
    Mein Herz schien den Brustkasten sprengen zu wollen.
    »Alina«, rief Maljen in das Rauschen des Windes.
    »Was?« Ich quetschte das Wort zwischen fest geschlossenen Lippen hervor.
    »Augen auf, Alina. Das musst du sehen.«
    Ich schüttelte ruckartig den Kopf. Genau das wollte ich auf keinen Fall.
    Maljen tastete nach meiner Hand, umschloss meine erstarrten Finger. »Versuch es einfach.«
    Ich holte bebend Luft und zwang mich, die Augen zu öffnen. Wir waren umgeben von Sternen. Die weißen Segel hatten sich über uns zu zwei breiten Bögen gestrafft.
    Ich hätte es wohl besser unterlassen, konnte der Versuchung, einen Blick über Bord zu werfen, aber nicht widerstehen. Der Wind brauste ohrenbetäubend laut. Unten – tief unten – glitzerten die Wellen im Mondschein wie die Schuppen einer behäbig dahinziehenden Seeschlange. Wenn wir abstürzten, würden wir auf ihrem Rücken in Stücke gehen, das war mir klar.
    Mir entwich ein leises Lachen, ein Laut

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