Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
abgebrochen, und ich meinte die Überreste dreier schwarzer Segel zu erkennen. Maljen hatte uns zum ehemaligen Skiff des Dunklen geführt.
Der letzte Rest Gelassenheit, den ich mir bewahrt hatte, verflog jetzt auch noch.
Die Kolibri ging tiefer. Ihr Schatten glitt über das zertrümmerte Deck.
Ich verspürte einen Hauch von Erleichterung. Widersinnigerweise hatte ich damit gerechnet, die Leichen der Grischa an Deck zu erblicken, die Skelette des Gesandten des Zaren und der ausländischen Botschafter. Aber sie waren natürlich längst von den Volkra gefressen worden, ihre Gebeine auf der Einöde der Schattenflur verstreut.
Die Kolibri drehte nach Steuerbord ab. Mein Licht fiel in die düsteren Tiefen des geborstenen Rumpfes. Da erhob sich ein Kreischen.
»Bei allen Heiligen«, fluchte Maljen und legte das Gewehr an.
Unter dem Rumpf des Skiffs kauerten drei große Volkra, die uns den Rücken zugekehrt und ihre Schwingen ausgebreitet hatten. Was mich jedoch mit einem Schauder der Furcht und der Abscheu erfüllte, war das, was sie mit ihren Körpern zu beschirmen versuchten: ein Teppich wimmelnder, zuckender Gestalten mit winzigen, glänzenden Armen und den bleichen Membranen der noch ungeformten Schwingen, die hinten auf dem Rücken lagen. Sie wimmerten und winselten, wimmelten durcheinander und versuchten dem Licht zu entkommen.
Wir hatten ein Nest aufgespürt.
Die Besatzung war verstummt. Niemand bellte oder kläffte.
Sturmhond zog das Schiff in einem flachen Bogen herum. Dann brüllte er: »Tolja! Tamar! Grenatki! «
Die Zwillinge rollten zwei Granaten über das Deck und wuchteten sie auf die Reling.
Ich wurde wieder von Furcht erfasst. Es sind Volkra , rief ich mir in Erinnerung. Schau sie an. Es sind Ungeheuer.
»Stürmer – auf mein Zeichen«, sagte Sturmhond grimmig. »Scharf machen!« Dann rief er: »Bordschützen – abwerfen!«
Sobald die Granaten über Bord waren, brüllte Sturmhond: »Jetzt!« Er riss das Steuer nach rechts herum.
Die Stürmer warfen die Arme hoch und die Kolibri schoss steil nach oben.
Eine stille Sekunde verstrich. Dann ertönte unter uns ein gewaltiges Krachen. Druckwelle und Hitze der Explosion schüttelten die Kolibri .
»Ruhig halten!«, brüllte Sturmhond.
Das kleine Schiff schwankte heftig, schwang unter den Segeln wie ein Pendel hin und her. Maljen stemmte die Hände links und rechts von mir auf das Holz und stützte mich mit seinem Körper, während ich mich bemühte, das Gleichgewicht zu halten und das Licht nicht erlöschen zu lassen.
Schließlich kam das Schiff zur Ruhe und beschrieb einen weiten Bogen hoch über dem brennenden Skiff.
Ich zitterte wie Espenlaub. Die Luft stank nach verkohltem Fleisch. Meine Lunge fühlte sich an, als wäre sie versengt worden, jeder Atemzug wollte meine Brust schier sprengen. Die Besatzung jaulte und kläffte wieder. Maljen stimmte ein und reckte triumphierend das Gewehr. Ich konnte im Jubel die Schreie der Volkra hören, die in meinen Ohren hilflos, ja fast menschlich klangen, das Klagen von Müttern, die um ihren Nachwuchs trauerten.
Ich schloss die Augen. Mehr konnte ich nicht tun, wenn ich mir nicht die Ohren zuhalten und zusammenbrechen wollte.
»Genug«, hauchte ich. Niemand schien mich zu hören. »Bitte«, flehte ich heiser. »Maljen …«
»Du hast offenbar Geschmack am Töten gefunden, Alina.«
Diese unterkühlte Stimme. Ich riss die Augen auf.
Der Dunkle stand vor mir, seine schwarze Kefta flatterte auf dem Deck der Kolibri . Ich wich keuchend zurück, schaute mich verzweifelt um, aber niemand sah mich. Alle jubelten und johlten, betrachteten die Flammen.
»Keine Sorge«, sagte der Dunkle sanft. »Mit der Zeit fällt es immer leichter. Ich zeige es dir.«
Er ließ ein Messer aus dem Ärmel seiner Kefta gleiten und führte einen Hieb nach meinem Gesicht. Der Schrei blieb mir im Hals stecken und ich riss abwehrend die Hände hoch. Ein Kreischen entrang sich meiner Kehle. Das Licht erlosch und die Finsternis verschluckte das Schiff. Ich fiel auf die Knie, kauerte auf dem Deck und erwartete, den schmerzhaften Stich von Grischa-Stahl zu spüren.
Doch er blieb aus. Die Besatzung brüllte in der Dunkelheit. Sturmhond rief meinen Namen. Ich hörte das durchdringende Kreischen eines Volkra. Nahe. Zu nahe.
Irgendjemand schrie auf und das Schiff neigte sich ruckartig zur Seite. Ich hörte Getrampel, als die Besatzung versuchte, auf den Beinen zu bleiben.
»Alina!« Das war Maljen.
Ich spürte, wie er in der
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