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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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sich.
    »Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte ich.
    »Nicht im Normalfall, nein«, erwiderte Sturmhond. »Unter deinem Sitz steckt ein Gewehr, Oretsew. Nimm es zur Hand. Könnte sich als nützlich erweisen.«
    »Du kannst mit diesem Ding doch nicht in die Schattenflur!«, brüllte Maljen.
    »Warum nicht? Wenn ich die Sache richtig sehe, bin ich mit genau jener Person unterwegs, die für eine gefahrlose Reise sorgen kann.«
    Ich ballte die Fäuste und meine Wut gewann die Oberhand über meine Angst. »Vielleicht überlasse ich dich und deine Besatzung den Volkra als spätnächtliche Häppchen!«
    Sturmhond hielt das Steuer mit einer Hand und warf einen Blick auf die Uhr. »Eher als zeitiges Frühstück. Wir hinken dem Zeitplan hinterher. Außerdem«, sagte er, »wäre der Sturz sehr tief. Sogar für eine Sonnenkriegerin.«
    Ich sah zu Maljen und wusste, dass sich meine Wut in seinem Gesicht spiegelte.
    Wir sausten nach wie vor furchterregend schnell über das Land. Ich stand auf, um herauszufinden, wo wir waren.
    »Bei allen Heiligen«, fluchte ich.
    Hinter uns lagen die Sterne, der Mondschein, die Welt der Lebenden. Vor uns lag das Nichts. Er meinte es tatsächlich ernst. Er wollte in die Schattenflur fliegen.
    »Auf eure Plätze, Kanoniere«, rief Sturmhond. »Weiter so, Stürmer.«
    »Ich bringe dich um, Sturmhond!«, schrie ich. »Kehr sofort um!«
    »Ich bedauere. Wenn du mich töten willst, musst du damit wohl oder übel warten, bis wir gelandet sind. Alle bereit?«
    »Nein!«, brüllte ich.
    Im nächsten Moment umfing uns die Finsternis, dunkler als jede Nacht – eine tiefe, vollkommene, widernatürliche Schwärze, die uns mit erstickendem Griff umfing. Wir waren über der Schattenflur.

Sobald wir in die Schattenflur eingetreten waren, wusste ich, dass sich etwas verändert hatte.
    Ich stemmte hastig die Füße auf Deck und riss die Hände hoch, hüllte die Kolibri in goldenes Sonnenlicht. Ich war zwar wütend auf Sturmhond, konnte aber nicht zulassen, dass uns ein Schwarm Volkra zum Absturz brachte, nur weil ich meine Drohung wahr machen wollte.
    Auf Grund der Macht beider Kräftemehrer war es fast ein Kinderspiel, das Licht aufzurufen. Ich konzentrierte mich fest auf seine Ränder, aber die heftigen Turbulenzen, die mich bei der allerersten Benutzung des Schuppenarmbands geschüttelt hatten, blieben aus. Trotzdem war irgendetwas faul. Die Schattenflur fühlte sich anders an. Ich redete mir ein, es wäre nur Einbildung, aber ich meinte die Finsternis mit Händen greifen zu können, zu spüren , wie sie über meine Haut glitt. Auf meiner Schulter begannen die Wundränder zu jucken und zu ziehen, als wäre das Fleisch unruhig geworden.
    Ich war zwei Mal auf der Ödsee gewesen und hatte mich immer wie eine Fremde gefühlt, wie ein verletzlicher Eindringling in einer gefährlichen, widernatürlichen Welt, die mich möglichst rasch loswerden wollte. Nun war es so, als würde sich die Schattenflur nach mir ausstrecken und mich begrüßen.
    Sie kennt mich , dachte ich. Gleiches ruft Gleiches.
    Aber das war Unsinn. Ich drängte diesen Gedanken beiseite, warf das Licht noch weiter aus, ließ die Macht auf allen Seiten warm und beruhigend pulsieren. Das war ich. Nicht die Finsternis.
    »Sie kommen«, sagte Maljen. »Horch.«
    In den Wind, der über der Schattenflur brauste, mischte sich der Hall von Kreischen, danach der regelmäßige Rhythmus der Schwingen der Volkra. Sie hatten uns rasch aufgespürt, waren angelockt worden vom Geruch ihrer menschlichen Beute.
    Ihre Flügel peitschten die Luft rings um die Lichtkugel, die ich erzeugt hatte, trieben die Finsternis in flatternden Bändern auf uns zu. Sie hatten lange keine Beute mehr gemacht, weil kaum noch jemand die Schattenflur durchquerte. Der Hunger ließ sie wagemutig werden.
    Ich breitete die Arme aus, und indem ich das Licht noch heller aufleuchten ließ, trieb ich sie zurück.
    »Nein«, sagte Sturmhond. »Lass sie näher kommen.«
    »Wie bitte? Wieso?«, fragte ich. Die Volkra waren Raubtiere reinsten Wassers. Man konnte nicht mit ihnen spielen.
    »Sie jagen uns«, sagte er so laut, dass alle ihn hören konnten. »Wir sollten den Spieß endlich umdrehen.«
    Die Besatzung stieß einen gellenden Kriegsruf aus, gefolgt von Gebell und Geheul.
    »Zieh das Licht zurück«, befahl Sturmhond.
    »Er ist verrückt geworden«, rief ich Maljen zu. »Sag ihm, dass er verrückt geworden ist.«
    Doch Maljen zögerte. »Na ja …«
    »Was na ja ?«, fragte ich

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