Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
wir Maljen und Sturmhond bei einem Übungskampf mit stumpfen Schwertern zusahen. Sie hatte mir einen Marlpfriem besorgt und versuchte mir Knoten und Spleiße beizubringen.
»Ellbogen ruhig halten!«, fuhr Sturmhond Maljen an. »Du lässt sie flattern wie ein Huhn die Stummelflügel.«
Maljen reagierte mit einem verwirrend echten Gackern.
Tamar zog eine Augenbraue hoch. »Dein Freund amüsiert sich offenbar köstlich.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das ist typisch Maljen. Wenn du ihn unter Meuchelmördern der Fjerdan absetzen würdest, würden sie ihn bald darauf auf den Schultern tragen. Er blüht an jedem Ort auf, an den man ihn stellt.«
»Und du?«
»Ich bin eher ein Unkraut«, antwortete ich trocken.
Tamar grinste. Während eines Kampfes war sie wie kaltes, stilles Feuer, doch wenn sie nicht kämpfte, lächelte sie oft und gern. »Ich mag Unkräuter«, sagte sie und glitt von der Reling, um die herumliegenden Taue aufzusammeln. »Sie sind Überlebenskünstler.«
Ich ertappte mich dabei, ihr Lächeln zu erwidern, widmete mich jedoch rasch wieder dem Knoten, den ich zu knüpfen versuchte. Das Problem bestand darin, dass ich gern auf Sturmhonds Schiff war. Ich mochte Tolja und Tamar und die restliche Besatzung. Ich aß gern mit ihnen und mir gefiel der Klang von Priwjets lispelnder Tenorstimme. Ich mochte die nachmittäglichen Schießübungen, bei denen wir leere Weinflaschen von der Heckwand schossen, und ich schloss gern kleine Wetten ab.
Es war ein Leben wie damals im Kleinen Palast, nur ohne die politischen Intrigen und den ständigen Wettstreit um Rang und Namen. Die Besatzung pflegte untereinander einen offenen, lockeren Umgang. Alle waren jung, und alle waren arm, und sie hatten bisher meist im Verborgenen leben müssen. Sie hatten auf diesem Schiff ein Zuhause gefunden und sie nahmen Maljen und mich beinahe selbstverständlich auf.
Was uns in West-Rawka erwartete, wusste ich nicht und ich hielt unsere Rückkehr genau genommen für Irrsinn. Doch an Bord der Wolkwolnij konnte ich sowohl die Zukunft als auch meine Ängste vergessen, denn hier blies ein frischer Wind und die weißen Segel blähten sich vor einem weiten, blauen Himmel.
Außerdem war mir Sturmhond trotz allem sympathisch. Er war ein Prahlhans und Draufgänger, und wo ein Wort gereicht hätte, benutzte er zehn, aber es beeindruckte mich, wie er mit seiner Besatzung umging. Seine Männer gehorchten ihm aufs Wort, obwohl er sich nicht zu jenen Tricks und Schlichen herabließ, mit deren Hilfe der Dunkle herrschte. Seine Mannschaft fürchtete ihn nicht, sondern achtete ihn.
»Wie heißt Sturmhond wirklich?«, fragte ich. »Wie lautet sein Name in Rawka?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du nie gefragt?«
»Warum sollte ich?«
»Aus welchem Teil Rawkas stammt er?«
Sie sah mit verengten Augen zum Himmel auf. »Wie wäre es mit einem Säbelkampf?«, fragte sie. »Wir haben vor meiner Wache noch etwas Zeit.«
Wenn ich sie nach Sturmhond fragte, wechselte sie stets das Thema. »Er kann doch nicht einfach vom Himmel auf ein Schiff gefallen sein, Tamar. Interessierst du dich denn gar nicht dafür, wo er herkommt?«
Tamar hob die Säbel auf und gab sie Tolja, der auf dem Schiff als Waffenmeister fungierte. »Nicht besonders. Er lässt uns auf seinem Schiff mitsegeln, und er lässt uns kämpfen.«
»Und er zwingt uns nicht, rote Seide zu tragen und das Schoßhündchen zu spielen«, sagte Tolja und öffnete den Waffenschrank mit dem Schlüssel, den er um seinen Stiernacken trug.
»Du und ein Schoßhündchen.« Tamar lachte.
»Alles ist besser, als den Befehlen eines aufgeblasenen Idioten in Schwarz gehorchen zu müssen«, brummte Tolja.
»Aber du gehorchst Sturmhond«, warf ich ein.
»Nur, wenn ihm danach ist.«
Ich erschrak. Sturmhond stand direkt hinter mir.
»Versuch mal, diesem Ochsen Anweisungen zu geben«, sagte der Freibeuter. »Dann wirst du schon sehen.«
Tamar schnaubte und räumte danach gemeinsam mit Tolja die übrigen Waffen ein.
Sturmhond beugte sich zu mir herab und murmelte: »Wenn du etwas über mich erfahren willst, Schätzchen, dann musst du mich einfach fragen.«
»Ich habe nur überlegt, woher du wohl kommst«, erwiderte ich abwehrend. »Das ist alles.«
»Und wie ist es mit deiner Herkunft?«
»Ich bin in Keramzin aufgewachsen. Das weißt du.«
»Aber woher kommst du?«
Verblasste Erinnerungen traten mir vor Augen. Ein Teller mit gekochter Roter Bete, die mir fast entglitten und meine Finger rot färbten. Der
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