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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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durchzuckte mich Panik. Das letzte Mal hatte ich diese Tore hinten auf einem Pferdekarren durchquert, versteckt zwischen Requisiten, auf der Flucht vor dem Dunklen und ganz auf mich allein gestellt.
    Und wenn es eine Falle ist? , schoss es mir durch den Kopf. Wenn ich keine Gnade zu erwarten hatte? Wenn Nikolaj nie wirklich vorgehabt hatte, mir das Kommando über die Zweite Armee zu geben? Wenn man Maljen und mich in Eisen legen und in einen feuchten Kerker werfen würde?
    Schluss damit , schalt ich mich selbst. Du bist kein kleines, ängstliches Mädchen mehr, das in seinen Militärstiefeln zittert. Du bist eine Grischa. Du bist die Sonnenkriegerin. Du wirst gebraucht. Und wenn du wolltest, könntest du diesen ganzen Palast in Schutt und Asche legen. Ich drückte den Rücken durch und versuchte meine Aufregung zu dämpfen.
    Nachdem wir den Brunnen mit dem Doppeladler erreicht hatten, half Tolja mir vom Pferd. Ich sah blinzelnd zum Großen Palast auf, dessen weiß glänzende Terrassen mit goldenen Ornamenten und Statuen überladen waren. Er war genauso hässlich und einschüchternd, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
    Wassili reichte einem bereitstehenden Diener die Zügel seines Rosses und ging die Marmorstufen hinauf, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Maljen war käsebleich. Ich wischte meine feuchten Hände an der Kefta ab, und dann ließen wir unsere Prozession hinter uns zurück und folgten den Prinzen.
    Wir durchquerten im Palast einen glitzernden Saal nach dem anderen. Alle waren still und leer. Unsere Tritte hallten auf dem frisch gebohnerten Parkett, und meine Angst wuchs mit jedem Schritt. Ich sah, wie Nikolaj vor den Türen des Thronsaals tief Luft holte. Seine Uniform war makellos und mit seinem hübschen Gesicht sah er aus wie ein Märchenprinz. Plötzlich vermisste ich Sturmhonds krumme Nase und seine trüben grünen Augen.
    Die Türen schwangen auf und der Lakai verkündete: »Tsarewitsch Wassili Lantsow und Großherzog Nikolaj Lantsow.«
    Nikolaj hatte uns gesagt, man würde uns nicht ankündigen, aber wir sollten ihm und Wassili einfach folgen. Das taten wir mit zögernden Schritten und in respektvollem Abstand zu den Prinzen.
    Ein langer hellblauer Teppich zog sich der Länge nach durch den Saal. An seinem Ende drängte sich eine Gruppe elegant gekleideter Höflinge und Berater um ein Podest. Über ihnen saßen der Zar und die Zarin von Rawka auf gleichartigen goldenen Thronen.
    Kein Priester , dachte ich beim Näherkommen. Der Asket, der früher stets in der Nähe des Zaren gelauert hatte, war nicht in Sicht und schien auch nicht durch einen neuen spirituellen Berater ersetzt worden zu sein.
    Der Zar war viel schwächer und zerbrechlicher geworden, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Seine schmale Brust schien eingesunken zu sein, sein schlaffer Schnurrbart ergraute. Die größte Veränderung war jedoch mit der Zarin vorgegangen. Ohne Genja, die sich immer um ihr Gesicht gekümmert hatte, schien sie innerhalb weniger Monate um zwanzig Jahre gealtert zu sein. Ihre Haut war nicht mehr so zart und straff. Um Mund und Nase bildeten sich tiefe Falten und ihre Iris, früher so strahlend hell, war zu einem natürlicheren, aber weniger eindrucksvollen Blau verblasst. Doch das bisschen Mitleid, das ich für sie empfand, wurde sofort durch die Erinnerung daran verdrängt, wie sie Genja behandelt hatte. Vielleicht wäre Genja nicht versucht gewesen, sich auf die Seite des Dunklen zu schlagen, wenn sie von der Zarin etwas mehr Respekt erfahren hätte. So vieles hätte anders kommen können.
    Vor dem Rand des Podestes verneigte Nikolaj sich tief. »Moj Tsar«, sagte er. »Moja Tsaritsa.«
    Zar und Zarin betrachteten wortlos ihre Söhne, so lange, dass mir mulmig wurde. Dann schien etwas Empfindsames in der Zarin zu erwachen. Sie sprang von ihrem Thron auf und eilte mit wehender Seide und tanzenden Perlen die Stufen hinab.
    »Nikolaj!«, rief sie und drückte ihren Sohn an sich.
    Unter den zuschauenden Höflingen erhob sich Gemurmel und Applaus. Die Zarin hielt ihre Tränen nicht zurück. Zum ersten Mal erlebte ich, dass sie echte Gefühle zeigte.
    Der Zar kam langsam auf die Beine, gestützt von einem Diener, der ihm auch die Stufen des Podestes hinabhalf. Er war ganz eindeutig nicht wohlauf und mir dämmerte, dass sich die Frage der Thronfolge rascher stellen konnte, als ich gedacht hatte.
    »Komm zu mir, Nikolaj«, sagte der Zar und streckte einen Arm nach seinem Sohn aus. »Komm zu mir.«
    Nikolaj bot seinem

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