Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
tunnelartigen Weg durch den Wald einschlugen. Die Bäume standen dicht auf beiden Seiten und über uns verschlangen sich die Äste zu einem grünen Baldachin. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, waren sie kahl gewesen.
    Wir traten in den hellen Sonnenschein. Unter uns lag der Kleine Palast.
    Ich merkte, dass ich ihn vermisst hatte, den Glanz der goldenen Kuppeln und die wie verzaubert wirkenden, mit den unterschiedlichsten Tieren und Fabelwesen verzierten Mauern. Ich hatte den blauen See vermisst, der wie ein Stückchen Himmel schimmerte, die winzige, nicht ganz in der Mitte des Sees liegende Insel, die weißen Hütten der Beschwörer am Ufer. Dieser Ort war unvergleichlich und ich stellte etwas überrascht fest, dass ich mich hier sofort wieder heimisch fühlte.
    Aber nicht alles war wie früher. Soldaten der Ersten Armee, jeder mit einem Gewehr auf dem Rücken, waren auf dem Palastgelände stationiert. Gegen einen Ansturm entschlossener Entherzer, Stürmer und Inferni würden sie im Ernstfall wenig ausrichten können, aber die Botschaft war deutlich: Den Grischa war nicht zu trauen.
    Eine Schar in Grau gewandeter Diener erwartete uns auf der Treppe, um unsere Pferde in Empfang zu nehmen.
    »Bist du bereit?«, flüsterte Maljen, als er mir beim Absteigen half.
    »Ich wünschte, man würde aufhören, mir diese Frage zu stellen. Sehe ich etwa aus, als wäre ich nicht bereit?«
    »Du siehst aus wie damals, als du die Kaulquappe verschluckt hast, die ich in deine Suppe getan hatte.«
    Ich unterdrückte ein Lachen und spürte, wie ein Teil meiner Sorgen verflog. »Danke, dass du mich daran erinnerst«, sagte ich. »Das habe ich dir nie heimgezahlt, glaube ich.«
    Ich blieb stehen und glättete in aller Ruhe die Falten meiner Kefta, während ich hoffte, dass meine Beine endlich zu zittern aufhörten. Dann ging ich, gefolgt von den anderen, die Treppe hinauf. Die Diener rissen die Türen weit auf und wir traten ein. Wir gingen durch das kühle Dunkel der Eingangshalle und von dort in den Saal mit der goldenen Kuppel.
    Dieser Saal war achteckig und so groß wie eine Kathedrale. Die mit Schnitzereien verzierten Wände hatten Intarsien aus Perlmutt, und eine Kuppel aus massivem Gold wölbte sich in schier unglaublicher Höhe. In der Mitte des Saals hatte man vier Tische aufgestellt und dort warteten die Grischa. Sie standen und saßen in kleinen Gruppen da, in Karmesinrot, Purpur und Blau gewandet, denn obwohl ihre Zahl stark geschrumpft war, hatte sich der jeweilige Orden zusammengeschart.
    »Sie lieben ihre hübschen Farben«, brummelte Tolja.
    »Setz mir keine Flausen in den Kopf«, flüsterte ich. »Sonst beschließe ich vielleicht, dass meine Leibgarde knallgelbe Hosen tragen soll.«
    Zum allerersten Mal sah ich so etwas wie Angst auf seinem Gesicht.
    Als wir weitergingen, erhoben sich die meisten Grischa. Sie waren jung und mir wurde mit einem mulmigen Gefühl bewusst, dass die älteren und erfahreneren Grischa zum Dunklen übergelaufen waren. Vielleicht hatten sie auch nur die Klugheit besessen, sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen.
    Ich hatte erwartet, dass die meisten Korporalki das Weite gesucht hatten. Sie waren die höchstrangigen Grischa und die geschätztesten Kämpfer und sie standen dem Dunklen am nächsten.
    Trotzdem erblickte ich einige vertraute Gesichter. Sergej war als einer der wenigen Entherzer geblieben. Marie und Nadja standen bei den Ätheralki. Ich war überrascht, David zu sehen, der sich am Tisch der Materialki auf seinem Stuhl lümmelte. Ich wusste, dass er seine Skrupel gehabt hatte, was den Dunklen betraf, aber diese hatten ihn nicht davon abhalten können, den Reif um meinen Hals zu schließen. Gut möglich, dass er mir aus diesem Grund jetzt nicht ins Gesicht sehen mochte, aber vielleicht sehnte er sich auch einfach nur nach seiner Werkstatt.
    Den Ebenholzstuhl des Dunklen hatte man entfernt. Sein Tisch war verwaist.
    Sergej trat als Erster vor. »Alina Starkowa«, sagte er gepresst. »Ich freue mich, dich im Kleinen Palast willkommen zu heißen.« Ich nahm zur Kenntnis, dass er sich nicht vor mir verneigte.
    Die Anspannung wuchs und pulsierte im Saal, als wäre sie ein lebendiges Wesen. Ich hätte sie einerseits gern aus der Welt geschafft. Das wäre einfach gewesen. Ich hätte lächeln, lachen, Marie und Nadja umarmen können. Obwohl ich nie wirklich an diesen Ort gehört hatte, hatte ich mir damals redliche Mühe gegeben. Andererseits erinnerte ich mich an Nikolajs Warnungen und

Weitere Kostenlose Bücher