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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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konnte aber nicht widerstehen. »Dagrenner? Hatten sie Urkunden?«
    »Ich kann sie dir zeigen.«
    Wassilis Miene blieb wachsam, doch er wechselte ein paar Worte mit dem befehlshabenden Offizier und glitt dann geübt in den Sattel. Die Brüder nahmen ihre Plätze an der Spitze ein und unsere Prozession setzte sich wieder in Bewegung.
    »Sehr geschickt gemacht«, murmelte Maljen mir zu, als wir durch die Reihen der Soldaten ritten. »Nikolaj ist kein Narr.«
    »Das hoffe ich«, sagte ich. »Für uns beide.«
    Während wir auf die Hauptstadt zuritten, wurde mir bewusst, was die Gäste von Graf Minkoff gemeint hatten: Vor den Wällen war eine Zeltstadt entstanden und vor den Toren standen lange Menschenschlangen. Manch einer diskutierte mit den Wächtern, um endlich eingelassen zu werden. Auf den Wehrgängen hielten Soldaten Wache – eine angemessene Vorsichtsmaßnahme für ein Land im Kriegszustand und außerdem eine Warnung an die Menschen vor den Mauern, Ruhe zu bewahren.
    Natürlich schwangen die Stadttore für die Prinzen von Rawka auf und die Prozession schlängelte sich ohne Halt durch die Menschenmenge.
    Viele Zelte und Wagen waren unbeholfen mit einer Sonne bemalt worden und auf dem Ritt durch das provisorische Lager hörte ich immer wieder den inzwischen vertrauten Ruf »Sankta Alina!«.
    Ich kam mir zwar dumm vor, zwang mich aber, gute Miene zu machen und zu winken. Die Pilger jubelten und winkten zurück und viele rannten neben uns her. Doch es gab auch Flüchtlinge, die stumm und mit verschränkten Armen am Straßenrand standen und misstrauisch, ja sogar feindselig dreinschauten.
    Was mögen sie sehen? , fragte ich mich. Eine weitere privilegierte Grischa, die zu ihrem sicheren, bequemen Palast auf dem Hügel reitet, während sie alle ihr Essen über Lagerfeuern kochen und im Schatten einer Stadt schlafen müssen, die ihnen keinen Schutz gewährt? Oder etwas noch Schlimmeres? Eine Lügnerin? Eine Hochstaplerin? Eine junge Frau, die so vermessen ist, sich als lebende Heilige aufzuführen?
    Ich war froh, als wir hinter den Stadtwällen in Sicherheit waren.
    Innerhalb der Wälle kamen wir nur noch im Schneckentempo voran. Die Unterstadt quoll über von Menschen, die sowohl Bürgersteige als auch Straßen verstopften und den Verkehr lahmlegten. Die Schaufenster der Läden waren von Schildern bedeckt, die die jeweiligen Waren anpriesen, und vor jeder Tür hatten sich lange Schlangen gebildet. Alles stank nach Abfall und Urin. Ich hätte mir gern einen Ärmel vor die Nase gedrückt, musste das jedoch wohl oder übel unterlassen.
    Hier jubelten und starrten die Menschen, waren aber viel zahmer als die Massen vor den Toren.
    »Keine Pilger«, bemerkte ich.
    »Sie dürfen die Stadt nicht betreten«, sagte Tamar. »Der Zar hat den Asketen zum Abtrünnigen erklären und seine Anhänger aus Os Alta verbannen lassen.«
    Der Asket hatte sich mit dem Dunklen gegen den Thron verschworen. Vielleicht hatte er dieses Bündnis aufgekündigt, aber für den Zaren gab es trotzdem genügend Gründe, dem Priester und dessen Kult zu misstrauen. Und für dich auch , rief ich mir in Erinnerung. Aber du bist als Einzige so dumm, dich in der Hoffnung auf Gnade in den Großen Palast zu begeben.
    Wir überquerten den breiten Kanal, ließen Lärm und Aufruhr der Unterstadt hinter uns zurück. Ich stellte fest, dass man das Torhaus der Brücke schwer befestigt hatte, doch als wir in die Oberstadt einritten, schien dort alles beim Alten zu sein. Die breiten Paradestraßen waren sauber und freundlich, die prachtvollen Villen in bestem Zustand. Wir passierten einen Park, in dem modisch gekleidete Männer und Frauen auf gepflegten Wegen flanierten oder in offenen Kutschen spazieren fuhren. Kinder spielten babki unter Aufsicht ihrer Kinderfrauen und ein Junge mit Strohhut ritt auf einem Pony, das Schleifen in der Mähne hatte und von einem livrierten Diener am Zügel geführt wurde.
    Alle drehten sich nach uns um, zogen den Hut, tuschelten hinter vorgehaltener Hand, verbeugten sich oder knicksten beim Anblick von Wassili und Nikolaj. Waren sie wirklich so ruhig und unbesorgt, wie es schien? Sie wussten doch sicher um die Gefahren, die Rawka drohten, waren sich des Aufruhrs auf der anderen Seite der Brücke bestimmt bewusst. Kaum zu glauben, dass sie ernsthaft meinten, der Zar könnte ihre Sicherheit garantieren.
    Wir erreichten die goldenen Tore des Großen Palastes rascher, als mir lieb war. Als sie sich krachend hinter uns schlossen,

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