Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Mir ging ein hässlicher Gedanke durch den Kopf: Wenn Nikolaj Maljen loswerden wollte, so wäre dies die denkbar einfachste Art.
In der Menge, die das Podest umringte, erhob sich aufgeregtes Gemurmel. Was hatte ich uns da eingebrockt? Ich wollte etwas sagen, aber Nikolaj kam mir zuvor.
»Moj Tsar«, sagte er demütig, »vergebt mir, aber der Fährtensucher hat der Sonnenkriegerin maßgeblich dabei geholfen, der drohenden Gefangennahme durch einen Feind der Krone zu entgehen.«
» Falls ihr diese Gefahr jemals wirklich drohte.«
»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er die Waffe gegen den Dunklen erhoben hat. Er ist ein Freund, auf den Verlass ist, und ich bin der Ansicht, dass er im besten Interesse Rawkas gehandelt hat.« Der Zar schürzte die Unterlippe, aber Nikolaj fuhr fort: »Ich würde mich besser fühlen, wenn ich wüsste, dass er im Kleinen Palast ist.«
Der Zar runzelte die Stirn. Er denkt sicher schon an das Mittagessen und ein Nickerchen , dachte ich.
»Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?«, fragte er.
»Nur, dass ich tat, was ich für richtig hielt«, antwortete Maljen mit ruhiger Stimme.
»Mein Sohn scheint der Meinung zu sein, dass du gute Gründe für dein Handeln hattest.«
»Vermutlich glaubt jeder Mensch, gute Gründe zu haben«, sagte Maljen. »Trotzdem bleibt es Fahnenflucht.«
Nikolaj verdrehte die Augen zum Himmel und ich hätte Maljen am liebsten ordentlich geschüttelt. Konnte er nicht einmal weniger forsch und unverblümt sein?
Das Stirnrunzeln des Zaren wurde noch tiefer. Wir warteten.
»Nun gut«, sagte er schließlich. »Eine weitere Giftschlange im Nest tut auch nichts mehr zur Sache. Du wirst unehrenhaft aus der Armee entlassen.«
»Unehrenhaft?«, entfuhr es mir.
Maljen verneigte sich nur und sagte: »Ich danke Euch, moj Tsar .«
Der Zar winkte träge. »Geht«, sagte er verdrießlich.
Ich war versucht die Sache auszudiskutieren, aber Nikolaj sah mich warnend an und Maljen hatte sich schon abgewandt. Ich musste mich sputen, um ihn auf dem hellblauen Teppich einzuholen.
Als sich die Türen nach dem Verlassen des Thronsaals hinter uns schlossen, sagte ich: »Wir reden mit Nikolaj. Wir bitten ihn, beim Zaren ein Wort für dich einzulegen.«
Maljen ging einfach weiter. »Das wäre sinnlos«, sagte er. »Ich wusste, dass es so kommen würde.«
Es klang gefasst, aber seine hängenden Schultern verrieten mir, dass er noch ein Fünkchen Hoffnung gehabt hatte. Ich hätte ihn am liebsten beim Arm gepackt, ihm gesagt, dass es mir leidtat und dass wir die Sache irgendwie wieder einrenken würden. Stattdessen versuchte ich mit ihm Schritt zu halten und war mir die ganze Zeit der Blicke der Diener bewusst, die in jeder Tür standen.
Wir durcheilten die prächtigen Flure des Palastes und gingen wieder die Marmortreppe hinunter. Fedjor und seine Grischa warteten bei ihren Pferden. Sie hatten sich so gut hergerichtet wie möglich, aber ihre farbigen Keftas wirkten immer noch verlottert. Tamar und Tolja standen etwas abseits. Auf ihren groben Kleidern glänzten die goldenen Strahlensonnen, die ich ihnen überreicht hatte. Ich holte tief Luft. Nikolaj hatte getan, was er konnte. Nun war ich an der Reihe.
Der mit weißem Kies bestreute Pfad schlängelte sich durch das Palastgelände, vorbei an ausgedehnten Rasenflächen und Zierbauten und an den hohen Hecken eines Irrgartens. Tolja, meist still und gelassen, rutschte mit mürrischer Miene im Sattel hin und her.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte ich.
Ich glaubte, er würde vielleicht nicht antworten, aber dann sagte er: »Hier riecht es nach Schwäche. Nach Verweichlichung.«
Ich warf dem riesigen Kämpfer einen Blick zu. »Verglichen mit dir ist jeder verweichlicht, Tolja.«
Tamar tat die Launen ihres Bruders für gewöhnlich mit einem Lachen ab, aber nun überraschte sie mich mit den Worten: »Es stimmt – dieser Ort hat etwas Todgeweihtes.«
Ich hätte gern etwas Beruhigendes gehört. Nach der Audienz im Thronsaal war ich nervös und immer noch etwas erstaunt darüber, dass ich so zornig auf den Zaren gewesen war, auch wenn die Heiligen wussten, dass er es verdient hatte. Er war ein verkommener alter Hurenbock, der gern Dienstmägde in die Ecke drängte, ganz zu schweigen davon, dass er ein lausiger Anführer war und innerhalb weniger Minuten sowohl mir als auch Maljen mit dem Tod durch den Strang gedroht hatte. Der bloße Gedanke daran löste bitteren Groll in mir aus.
Mein Herz schlug schneller, als wir den
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