Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Schritte, die auf den Steinfliesen hallten.
Ich saß da, stocherte in meinem Frühstück und grübelte über Nikolajs Worte nach. Dann riss ich mich zusammen. Mir fehlte die Zeit, seine Motive zu ergründen. In wenigen Stunden würde der Kriegsrat zusammentreten, um eine Strategie zu entwickeln und zu erörtern, wie wir uns am besten gegen den Dunklen verteidigen konnten. Ich hatte noch viel vorzubereiten, aber zuerst musste ich jemanden besuchen.
Als ich die sonnenförmigen Knöpfe meiner blau-goldenen Kefta schloss, schüttelte ich reumütig den Kopf. Baghra würde für die Rolle, die ich mir anmaßte, nur Spott übrig haben. Ich bürstete mir die Haare, verließ den Kleinen Palast durch den Eingang des Dunklen und ging quer über das Gelände zum See.
Eine Dienerin hatte mir erzählt, dass Baghra kurz nach dem Winterfest erkrankt war und seither keine Schüler mehr angenommen hatte. Ich kannte natürlich die Wahrheit. Am Abend des Festes hatte Baghra mir die Pläne des Dunklen enthüllt und mir zur Flucht aus dem Kleinen Palast verholfen. Danach hatte sie meine Abwesenheit vertuscht, um mir Zeit zu verschaffen. Der Gedanke an die Wut, die den Dunklen nach der Aufdeckung von Baghras Machenschaften erfüllt haben musste, lag mir schwer im Magen.
Als ich die nervöse Dienerin gedrängt hatte, mir noch mehr Einzelheiten zu erzählen, hatte sie unbeholfen geknickst und war aus dem Zimmer geeilt. Immerhin war Baghra noch am Leben und sie war noch hier. Der Dunkle konnte zwar eine ganze Stadt zerstören, aber vor dem Mord an seiner eigenen Mutter schien er zurückzuschrecken.
Der Pfad zu Baghras Hütte war von Brombeeren überwuchert, der sommerliche Wald war üppig und roch würzig nach Laub und feuchter Erde. Ich beschleunigte meine Schritte und war überrascht, wie sehr ich mich darauf freute, Baghra wiederzusehen. Sie war eine strenge Lehrerin und selbst an ihren besten Tagen eine Keifziege gewesen, aber sie hatte versucht mir zu helfen, als mich alle anderen im Stich gelassen hatten. Außerdem war sie meine größte Hoffnung bei der Lösung des Rätsels von Morozows drittem Kräftemehrer.
Ich stieg die drei altbekannten Stufen zur Tür hinauf und klopfte. Niemand öffnete. Ich klopfte noch einmal und stieß danach die Tür auf, zuckte bei dem vertrauten Hitzeschwall zusammen, der mir entgegenschlug. Baghra schien immer zu frieren und beim Betreten ihrer Hütte hatte man das Gefühl, in eine Bratröhre geschoben zu werden.
Der dunkle, kleine Raum hatte sich nicht verändert: sparsam und nur mit den allernötigsten Möbeln eingerichtet. Baghra saß in ihrer verblichenen Kefta vor dem Kachelofen, in dem ein Feuer toste. Zu meiner Überraschung war sie nicht allein. Neben ihr saß ein Diener, ein in Grau gekleideter Jüngling. Bei meinem Eintreten stand er auf und musterte mich im Zwielicht.
»Besuch ist unerwünscht«, sagte er.
»Auf wessen Befehl?«
Beim Klang meiner Stimme riss Baghra den Kopf hoch.
Sie knallte ihren Stock auf den Boden. »Geh, Junge«, befahl sie.
»Aber …«
»Geh!«, fauchte sie.
Freundlich wie immer , dachte ich wachsam.
Der Jüngling eilte ohne ein weiteres Wort aus der Hütte.
Die Tür war kaum ins Schloss gefallen, da sagte Baghra: »Ich habe mich schon gefragt, wann du zurückkehren würdest, kleine Heilige.«
Typisch für Baghra, mich mit genau dem Namen anzureden, den ich auf keinen Fall hören wollte.
Ich schwitzte schon jetzt und wollte dem Feuer eigentlich nicht noch näher kommen, ging aber quer durch den Raum zum Stuhl des Dieners.
Baghra drehte sich wieder zu den Flammen um und kehrte mir den Rücken zu. Sie schien wirklich in Bestform zu sein. Ich ging über die Beleidigung hinweg und saß eine Weile stumm da, weil ich nicht wusste, wo ich beginnen sollte.
»Ich habe gehört, dass du nach meinem Verschwinden erkrankt bist«, sagte ich nach einer Weile.
»Pah.«
Ich überwand mich und fragte: »Was hat er dir angetan?«
Sie lachte trocken auf. »Weniger, als er mir hätte antun können. Mehr, als er mir hätte antun sollen.«
»Baghra …«
»Du solltest nach Nowij Sem fliehen. Du solltest abtauchen.«
»Das habe ich versucht.«
»Nein, du bist auf die Jagd gegangen«, erwiderte sie höhnisch und stieß ihren Stock auf den Boden. »Und welche Beute hast du gemacht? Einen hübschen Halsreif, den du bis zu deinem Tod tragen darfst? Zeig mal«, sagte sie. »Ich will sehen, ob sich der Ärger gelohnt hat, den ich mir eingehandelt habe.«
Ich beugte mich
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