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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Ernstfall an vorderster Front. Wir haben die größte militärische Erfahrung und sollten im Kriegsrat stärker vertreten sein.«
    »Wir sind im Krieg genauso wertvoll«, erklärte Zoja, hochrot, aber sogar im Zorn umwerfend schön. Ich hatte zwar geahnt, dass sie von den Ätheralki als Stellvertreterin gewählt werden würde, doch begeistert war ich nicht darüber. »Wenn drei Korporalki im Kriegsrat vertreten sind«, sagte sie, »dann müssen auch drei Beschwörer dabei sein.«
    Plötzlich redeten wieder alle durcheinander. Ich bemerkte, dass die Materialki nicht erschienen waren. Als Angehörige des niedersten Grischa-Ordens waren sie bestimmt froh, überhaupt am Kriegsrat teilnehmen zu dürfen. Vielleicht waren sie auch zu beschäftigt, um sich Gedanken über solche Probleme zu machen.
    Ich war noch halb verschlafen und ich wollte frühstücken, nicht diskutieren, aber ich musste diese Angelegenheit klären. Ich wollte die Dinge anders handhaben als der Dunkle – und was ich unter »anders« verstand, musste ich den Grischa zeigen, damit sie mir nicht gleich wieder in den Rücken fielen.
    Ich hob eine Hand und sofort trat Stille ein. Dieser Trick funktionierte immerhin. Vielleicht befürchteten sie, dass ich noch eine Decke demolieren würde. »Zwei Grischa aus jedem Orden«, verkündete ich. »Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Aber …«, begann Sergej.
    »Der Dunkle hat sich verändert, und wenn wir ihn besiegen wollen, müssen wir uns auch verändern. Darin liegt unsere einzige Hoffnung. Also: zwei Grischa aus jedem Orden«, wiederholte ich. »Außerdem sitzen die Orden ab jetzt nicht mehr getrennt. Ihr sitzt gemischt: Ihr esst gemeinsam und ihr kämpft gemeinsam.«
    Endlich einmal waren sie sprachlos. Sie standen mit offenem Mund da.
    »Und die Fabrikatoren beginnen noch in dieser Woche mit der Kampfausbildung«, schloss ich.
    Ich betrachtete ihre entsetzten Gesichter. Sie sahen aus, als hätte ich ihnen befohlen, splitternackt in die Schlacht zu ziehen. Da die Materialki nicht als Krieger galten, hatte man sich nie die Mühe gemacht, sie das Kämpfen zu lehren – in meinen Augen eine verpasste Chance. Arbeite mit allem, was dir zur Verfügung steht.
    »Wie ich sehe, seid ihr alle begeistert«, sagte ich mit einem leisen Seufzer.
    Ich brauchte dringend einen Schluck Tee und ging zum Tisch, auf dem ein Tablett mit zugedeckten Speisen stand. Ich hob einen Deckel: Roggenbrot mit Hering. Dieser Tag begann wirklich lausig, und das auf ganzer Linie.
    »Aber … aber so war es immer «, stammelte Sergej.
    »Du kannst nicht einfach mit einer Hunderte Jahre alten Tradition brechen«, wandte der Inferni ein.
    »Wollt ihr allen Ernstes darüber streiten?«, fragte ich gereizt. »Wir liegen im Krieg mit einer unberechenbaren, uralten Macht, und ihr wollt ausdiskutieren, wer beim Mittagessen neben wem sitzt?«
    »Darum geht es nicht«, sagte Zoja. »Es gibt eine Ordnung und es gibt Regeln, nach denen …«
    Wieder begannen alle zu reden – über Tradition und Sitten und Gebräuche, über die Notwendigkeit von Strukturen und Hierarchien.
    Ich deckte Hering und Roggenbrot mit einem lauten Knall wieder zu.
    »Wir werden es genau so tun, wie ich gesagt habe«, erklärte ich, denn langsam riss mir der Geduldsfaden. »Schluss mit der Arroganz der Korporalki. Schluss mit der Cliquenbildung der Ätheralki. Und mit dem Hering ist auch Schluss.«
    Zoja wollte etwas sagen, besann sich aber eines Besseren und schloss ihren Mund wieder.
    »Und jetzt raus«, befahl ich herrisch. »Ich will in Ruhe frühstücken.«
    Eine Weile regte sich niemand. Dann traten Tamar und Tolja vor und zu meinem Erstaunen befolgten die Grischa meinen Befehl. Zoja zog ein beleidigtes Gesicht, Sergej wirkte aufgebracht, doch alle schlurften gehorsam aus dem Zimmer.
    Kurz nachdem sie gegangen waren, erschien Nikolaj in der Tür und mir wurde bewusst, dass er im Flur gelauscht hatte.
    »Gut gemacht«, sagte er. »Der heutige Tag wird für immer als der des großen Hering-Dekrets in Erinnerung bleiben.« Er trat ein und schloss die Tür hinter sich. »Du warst allerdings nicht gerade diplomatisch.«
    »Mir fehlt deine Gabe, mich ›amüsiert und von oben herab‹ zu geben«, erwiderte ich, indem ich mich setzte. Ich schlug die Zähne in ein Brötchen. »Aber ›mürrisch‹ scheint mir zu liegen.«
    Ein Diener beeilte sich, eine Tasse Tee aus dem Samowar zu zapfen. Der Tee war wunderbar heiß und ich löffelte einen ganzen Berg Zucker hinein. Nikolaj

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