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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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wuchsen ins Krankhafte. Zwei Ideale schwebten ihm vor. Entweder eine durch Erotik bis zur Schwindsucht Verlebte, die sich Frieden suchend an ihn schmiegte. Oder ein zartes keusches Wesen. Ja, er liebte Alice, dies reine vornehme Geschöpf – wie er sie sich ausmalte. Jeder unreine Gedanke mußte sich in ihrer Nähe zu edelster Ritterlichkeit läutern. Man mag Leidenschaft für eine Kokette empfinden, aber wahre Liebe wird stets nur Ergebniß von Achtung und Vertrauen.
    Er haßte diesen Lassen, den Mowbray. Der war gewiß ein Roué und die sind nie zu bekehren. Erst mögen ihn Keuschheit und Herzensgüte reizen, später aber wird er stets das Experiment als höchste Wollust versuchen, die Reinheit mit seiner eigen Gemeinheit zu beflecken.
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    Dabei stieg seine innere Unruhe. Eine nervöse Psychose bemächtigte sich seiner.
    Krastinik war einer von denen, die in jeder Lage zum Extremen neigen und schwerfällig auf demselben Punkte beharren. Er konnte stundenlang im Bette faulenzen, gleich jenem spleenigen Engländer, der sich die Kehle abschnitt, um sich nicht jeden Morgen ankleiden zu müssen. Und ebenso konnte er unmäßig arbeiten, sobald ihn der Trieb dazu ergriff. Nur daß diese fieberhafte Ausschweifung des Geistes nie nachhaltig blieb. Denn er dachte nie an wahre Kunst, sondern nur an Befriedigung seiner Eitelkeit. Er litt noch stark an Weltlust, ohne es zu wissen, und sprach von seinem Idealismus, wie der Beamte von staatlicher Ordnung predigt, weil er an seinen Gehalt denkt. Der Kunst aber muß man sich ganz allein hingeben. Sie will keine andern Götter neben sich. Zu dieser Höhe gelangt man erst nach strenger Selbstschulung.
    Krastinik fing fortwährend Neues an, statt Eines auszufeilen. Skizzenhaft Unausgeführtes häufte sich. Er wälzte Plan auf Plan im Kopf und wiederholte sich die Entwürfe unablässig hintereinander – ohne daß er die Kraft fand, einen zu beginnen. Damit hing es logisch zusammen, daß er in seiner ausschweifenden Phantasie wähnte, sich in Besitz aller Genüsse setzen zu können, und hinterher eine pomphafte Uebersättigung empfand, als habe er schon allen Ruhm, den er heißhungrig in weiter Ferne ersehnte, vollauf genossen. Er hätte in seinen Träumen einen Heirathsantrag der Königin Victoria als ganz natürlich hingenommen. Wie heilsam, daß das Leben diese Voraus-Blasirtheit durch sein langsames Tempo züchtigt. – Die dichterische Zukunftsmusik wälzte sich in seinem Gehirn hin und her und jedes Motiv hinderte das andere. Alles blieb Fragment, da Krastinik noch nicht die Fähigkeit gelernt hatte, sich auf etwas Bestimmtes zu concentriren in Genuß und Arbeit. – Unter seinen Stoffen, die sich durcheinanderschoben, schien ihm keiner der rechte. Zaudre eine Sekunde, so wird eine Stunde daraus. Wer zupft und trödelt oder (wie ein Autor von einem Druckfehler, der ihm drohend entgegengrinst) sich von jeder Kleinigkeit hypnotisirt fühlt, – der verlasse nur die thätige Laufbahn. Man muß sich auch in den kleinen Gewohnheiten des Lebens eine forsche Genialität aneignen. Wer ewig am Ufer zaudert, eh er ins Flußbad springt, holt sich nur einen Schnupfen.
    Sein Spleen wurde immer widerlicher. Er ärgerte sich über jeden Penny, den er zu viel gab; über jede zerkaute Cigarrenspitze, deren Nikotin er unachtsam seinem Speichel zugeführt; über jedes zähe oder zu ausgebratene Beafsteak. Mangelte ihm der Appetit oder war die Verdauung gestört, so forschte er als echter Krankheitshypochonder nach den Gründen dieses schweren Unglücks. Selbst in der Vergangenheit stocherte er herum, wie ein Lumpensammler in müffigem Kehricht. Er erinnerte sich, daß er als Knabe viel in eisigen Kellereien des Heimathschlosses mit den Söhnen des Kastellans Versteck gespielt, noch heiß vom gegenseitigen Haschen – das hatte sicher seiner Lunge tuberculose Keime eingeimpft! Warum hatte er einst dies und das gethan, dies und das unterlassen! Er grollte noch nachträglich Personen, die ihn im Comfort gestört.
    So wurde er ein regelrechter Genuß- und Gesundheitsjäger, wie alle Leute, die ihre Begierden weder ganz zähmen noch ganz sättigen; halbgesättigt, brechen diese stets unvermuthet neu hervor und schwächen den Willen. Statt mit unfruchtbarem Genörgel die Zeit zu verschwenden, hätte er aus Prinzip lüderlich werden sollen. Denn so wie man den physischen Schmerz vergißt, sobald

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