Größenwahn
Träumen?
Seine Gespräche mit dem alten Freund und Mentor Lord Dorrington (Lady Dorrington's weltlicher Sinn paßte dem Neffen längst nicht mehr) konnten nicht dazu dienen, ihn aufzumuntern. Der alte Herr litt an einem Unterleibsleiden, das er zwar standhaft ertrug, sich aber dafür an seinem widerspenstigen Corpus durch grämliche Sentenzen rächte.
»Ach, liebes Kind, wenn erst die Verdauung gestört ist, dann ist Alles zum Teufel. Das menschliche Leben hat drei Stadien: Erst denkt man nur an die Liebe, dann nur ans Essen, dann nur an die Verdauung. Da hab' ich mal auf meinen Streifereien im steirischen Hochland einen Spruch gefunden – er stand an einem gewissen Ort – der gefiel mir so, daß ich mir ihn notirt hab.« Und der alte Herr citirte mit schadenfrohem Schmunzeln:
»Die Pfaffen, die sich Götter nennen,
Sie müssen all' in dieses Haus.
Doch wenn sie nicht verdauen können,
Dann ist es mit der Gottheit aus.«
Krastinik lachte hellauf: »Das ist wirklich druck fähig!«
Sehr oft kam das Gespräch auf militärische Dinge. Der Lord hatte in jüngeren Jahren (noch nicht zur Lordschaft avancirt, sondern als »sehr ehrenwerther Mr. Dorrington«) bei der Garde-Artillerie gedient. Seinen äußerst liberalen radikal aufgeklärten Gesinnungen schien jedoch das gesammte Soldatenspielen nur ein nothwendiges Uebel. Mit der Ironie eines erfahrenen Skeptikers beobachtete er die Wettlage auf dem Continent, welcher sich mehr und mehr zu einem einzigen Heerlager zu verwandeln schien.
»Ja, lieber Xaver, Militarismus und Socialismus – das sind die beiden großen Sachen. Scylla und Charibdis. Alles Andere wird dazwischen zermalmt.«
Krastinik schwieg eine Weile. »Sie haben den Krim-Krieg mitgemacht. Warum erzählen Sie so ungern aus Ihrer militärischen Carrière?«
Dorrington zuckte die Achseln. »Ja, Du hast eben noch keinen Krieg mitgemacht, mein Lieber.«
»Waren Sie nie ehrgeizig?«
»Ach Gott!« Dorrington lachte leicht auf; dann nickte er vor sich hin, wie in Erinnerungen verloren. »Haha, da war's z.B. in der Schlacht bei Inkerman. Da fährt die Batterie eines Rivalen vor mir über eine Schlucht an den Feind heran. ›Sehn Sie, Herr Major!‹ riefen meine Offiziere. ›Mir haben hier den ganzen Angriff abgeschlagen und nun nimmt der uns die Ehre vorweg!‹ Es kochte in mir, aber ich bezwang mich und gebot dem Stabstrompeter das Signal zu blasen: ›Halt an, halt an!‹ Da kommt mein Oberst vorüber und brüllt aus voller Kehle: ›Um Gotteswillen, Herr Major, sind Sie toll? Der will grade auffahren und Sie lassen »Halt an« blasen?‹ Kaum hat er's gesprochen, da kommt auch schon jene Batterie zurück, gräulich zerschossen; hatte gleich Kehrt machen müssen. Aber bei dem Wahnwitz war die Hälfte der Bemannung vom Schützenfeuer des Feindes gefallen, ehe sie nur zum Abprotzen kam. Haha,« Dorrington lächelte bitter, »nachher, als der Befehl kam: ›Das Ganze avanciren‹, ging ich grad bis zu jener Stelle vor. Wir konnten nicht weiter; so dicht standen die Truppen aneinander und so voll lag's von Todten und Verwundeten in der Schlucht. Ich ließ Halt machen und Kartätschen einsetzen. Ja, da lagen die Artilleristen von jener Batterie noch umher, die so nutzlos vom Ehrgeiz ihres Chefs geopfert. Ich kann Dir sagen, lieber Junge, aus den Augen der Sterbenden leuchtete ein wahrer Haß. – So sieht der militärische Ehrgeiz aus, so!«
Krastinik wiegte nachdenklich sein Denkerhaupt. »So! Sie haßten also Ihr Metier?«
»Wie man's nimmt. Ein Kamerad toastete mal auf mich bei 'ner Offiziersmesse: ›Ein seltsamer Kerl, der Dorrington. In der Schlacht an der Alma hört‹ ich ihn commandiren: ›Drittes Geschütz, Feuer! Ach, die armen Menschen! Fünftes Geschütz, Shrapnell laden! Gott, dies Elend!‹«
Krastinik schwieg nachdenklich; allerlei Gedanken wirbelten ihm im Kopf herum. Der Plan, seinen Abschied zu nehmen, trat ihm nah und näher.
Zersetzend wirkten auf ihn auch Discussionen über erotische Dinge, die er mit seinem Mentor pflog, der wie alle früheren Lebemänner nicht gut auf die »Liebe« zu sprechen war.
Seine geschwätzige Wirthin hatte dem Grafen eine seltsame Mär erzählt, als sie ihm seine Flasche Porter zum Lunch um vier Uhr brachte. In der nächsten Porter-Filiale hatte ein junger Mann eine Banknote wechseln lassen. Der Chef der Handlung warf zufällig einen näheren Blick darauf und entdeckte zu seiner Ueberraschung ein Zeichen, das er auf Banknoten, die durch seine
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