Größenwahn
man sich zwingt, nicht daran zu denken – genau so den moralischen.
Aber Krastinik hielt Lüderlichkeit für unter seiner Würde; und je mehr er körperlichen Sport trieb (Boxen, Schwimmen, Marschiren), um sich aufzumuntern, desto sublimer und ernster wurde er. Ach, für ihn wäre etwas stupide Lebenslust der gesundeste Sport geworden. Für den Nebel der Sentimentalität giebt's nur ein probates Mittel: Den Rausch der Ausschweifung. Der Strom der Pein und der Strom der Lust quellen im Gefühlsleben nebeneinander. Dämmt man den einen, bricht der andere hervor.
Am Ende nahm seine widerliche Hypochondrie so bedrohlich zu, daß sie eine Art Verlustwahn nährte. Er bildete sich manchmal geradezu ein, daß ihm dieser Omnibus-Conducteur beim Wechseln Sixpence, jener Kellner eine halbe Krone zu wenig zurückgegeben habe. Dann glaubte er steif und fest, daß er in Inverneß zwei Guineas vergessen habe, die er vorm Schlafengehn unter den Spiegel gelegt haben wollte.
Seine Seele verkleinerte sich gleichsam in grämlichem Egoismus. Er verglich seine physische Natur mit derjenigen eines Laffen wie Mowbray und glaubte, daß höchste brutale Kraft auch höchstes Glück bedinge. Er beneidete die Engländer also um ihr Klima und ihre Erziehung, welche ihnen eine so überlegene physische Elasticität verliehen, und hielt sich selbst in demselben Maße vom physischen Glück entfernt. Und wie ein solcher unwirscher Neid seine leibliche Maschine nicht verbessern, sondern nur die Säfte stocken machen konnte – so peinigte er sich noch mehr, indem der Neid auf die so weit überlegenen Glücksgüter seiner englischen Umgebung ihn zu verkniffener Geldgier führte. Da er nun diese durch Erwerb nicht befriedigen konnte, so keimte in ihm »
the good old gentlemanly vice
«, der Geiz . Er fing an, innerlich den Mammon anzubeten. Hätte ihm ein Erie-Prinz ein Douceur angeboten, seinen Namen unter einen faulen Actienschwindel zu setzen – er hätte sich in gewissen Augenblicken wirklich dem Teufel verschrieben, er, von Natur so vornehm und ehrenhaft! Etwas der Sache wegen thun, schien ihm jetzt höchste Thorheit. Sein litterarisches Talent, an das er fest glaubte, sollte ihm einfach dienen, goldne Eier zu legen. Er wollte Sensationsromane schreiben, wie Gregor Samarow, Lustspiele wie G.v. Moser, dessen »Krieg und Frieden« er in noch ärgerer Adaptirung auf einer Londoner Bühne kennen lernte. Jedes höhere Streben schien in ihm erloschen.
Mit einem gehörigen inneren Ruck machte er sich also wirklich an die Arbeit. Er arbeitete an jener Novelle » Nachhülfe wird gesucht «, deren seltsame Exposition er einst dem Damen-Areopag bei Dorrington verlesen hatte. Dabei fiel es ihm jedoch schwer auf die Seele, daß ihm dies kein deutsches Familienjournal drucken werde; und er beschloß daher, äußerst abzudämpfen – möglichst salonfrivol und beileibe nicht cynisch zu werden, auf daß die schöne Leserin schamhaft hinter dem Fächer kichern könne, ohne sich äußerlich verletzt zu fühlen.
Die Arbeit schritt rüstig vor. Allein die Gestalt des Idealisten Goodenough machte ihm bei seinem jetzigen Gemütszustand und materialistischen Prinzip viele Schwierigkeiten. Er wollte diese Figur ja nicht der Lächerlichkeit, sondern dem Mitleid empfehlen, und dies wollte nicht recht gelingen. Hätte er nur irgend ein Modell gefunden!
Während dieser Arbeit stachelte ihn ein Wahngebilde, das er für Wahrheit hielt. Die so stark aufmunternden Worte, die Alice bei ihrem letzten Beisammensein geflötet, schienen ihm die Gewährung süßen Lohnes zu versprechen. Enthielten sie nicht ein halbes Geständniß tieferer Neigung? Der Unerfahrene ahnte gar nicht, daß in England sogar wirkliche
engagements,
ehe sie offiziell geworden, noch nichts Bindendes zu bedeuten haben. So setzte sich denn bei ihm eine Art Reflex-Liebe fest, indem er sich steif und fest einredete, ihr Schmachten entspringe einer unbefriedigten Liebessehnsucht. Aber ob für ihn? Wohl fiel ihm ein, daß vielleicht Mowbray – doch nein, nein, diesen Gedanken verwarf er. Wie konnte ein so ernstes kluges Wesen an solch einem nichtssagenden »schönen Mann« Gefallen finden!
Allein, diese Eifersucht bohrte ihm den Stachel der eingebildeten Reflexliebe noch stärker ein. Ja, wenn er unwillkürlich argwöhnte, sie habe ihn am Ende zum Narren, dann erst recht. Haß der Liebe, aus dem Zorn gekränkter Eitelkeit hervorgegangen, verstärkt gerade darum die Gefühle, weil die Selbstsucht mit tangirt
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