Größenwahn
Mohrenwäsche verüben, sich mit ihr, der verleumdeten Jungfrau, in die Brust werfen ... Sie verstehn.«
»Ja, ich verstehe. Nun begreif ich allerdings. Ganz so abenteuerlich-verrückt, wie es auf den ersten Blick scheint – verzeihn Sie, Herr Kamerad – ist Ihre Reise hierher nicht. Auch versteh ich wohl, Sie wollten dem ersten Radau (so nennt ihr's Berliner, gelt?) aus dem Wege gehn, sich erholen, Ihren Geist ablenken. So weit wär' das in Ordnung. Aber was ich dazu thun soll ... was Sie wollten, haben's erfahren. Die Sache stimmt.«
»Nun, so bezeugen Sie mir das. Sie sehen ein, welchen Werth Ihr Zeugniß für mich hat.«
»Nein, die Umstände sind doch sonderbar. Ich soll gegen ein Mädel zeugen, das ich ... verführt habe – das garstige Wort muß heraus. Nein, dös geht uns goar nix an, singen die Wiener. Lassen's mich aus! Es wär' unritterlich, uncavaliermäßig ...«
»So? Aber mich als schuldlosen Idealisten in solcher Patsche stecken lassen, wär' ritterlich?« fuhr Rother auf. »Ueberhaupt, galant und ritterlich – das sind so zwei Begriffe, auf die das Weib immer mit Glück spekulirt. Ist ein schwacher Mann nicht schwächer als ein starkes Weib? Verdient ein guter Mann nicht mehr Schonung als ein schlechtes Weib? Das Weib ist nicht schwach, weder physisch noch geistig noch moralisch, und kann hundertmal brutaler und gemüthsroher sein, als der Mann. ›Ritterlich‹ – da lassen's mich aus.« Er stand in der Erregung auf und schritt hastig in der Stube umher.
Krastinik betrachtete ihn. Der reine Goodenough, dachte er, der getäuschte Idealist, der nachher Pessimist wird. Außerdem machten Rothers Worte auf ihn einen bedeutenden Eindruck. Er fand viel Wahres darin: Welcher Mann oder welche Frau stimmte nicht bei, wenn einer vom gleichen Geschlecht über das andere Geschlecht schimpft! Auch dachte Krastinik unwillkürlich an Alice; dunkle Befürchtungen ergriffen ihn. Er konnte sich in Rothers Lage versetzen und sah dessen nervöse Zerrüttung in einem ganz anderen Lichte. Man belächelt solange die Thorheiten des lieben Nächsten, bis man sich selbst davon getroffen fühlt.
So bat denn Krastinik seinen neuen Bekannten, für heut die Sache ruhen zu lassen. Morgen sei auch noch ein Tag und das Weitere werde sich finden. Rother möge mit ihm speisen; er wolle sein Wegweiser für den Abend sein und ihm London zeigen. Jener dankte tiefgerührt und der Oesterreicher versicherte, es sei ihm hochinteressant, einen Berliner kennen zu lernen. Zudem habe er so lange keine Deutschen mehr gesehen, daß er sich entsinne, wie er einst im Thal von Braemar, auf einem Felsen zur Seite der Chaussee sitzend, ein vorübergehendes Paar habe unvermuthet Deutsch reden hören und blitzschnell gedacht habe: »
Look here, those are Germans!
« keineswegs: »Ah, deutsche Landsleute!« So völlig habe er verlernt, deutsch zu denken, trotzdem er für sich so viel Deutsch schreibe. Wie entzückt sei er also, mit einem deutschen Gentleman zu plaudern!
Den Trieb der Stammeszusammengehörigkeit empfindet man erst im Auslande ganz oder lernt ihn, falls man Kosmopolit war. Nur Lumpe und Abenteurer verlernen ihn dort nach dem Grundsatz:
Ubi bene, ibi patria.
Vaterland! Undenkbares Geheimniß, unverständliche Liebe! Ist die Welt umsonst unendlich? Ist jeder Flug ins Ausland eine Verbannung? Sind wir nur für einen Flecken geboren und jedem andern Lebensklima fremd?
IV.
Krastinik und Rother wurden binnen wenigen Tagen die besten Freunde. Letzterer hatte bald bemerkt, daß er es mit einem Original zu thun habe, und Ersterer studirte heimlich seinen neuen Bekannten als Modell seiner Novelle. Die reine Wahlverwandtschaft. Beiden war, als hätten sie sich lange gekannt: Sie schienen auf dem besten Weg, »Inseparables« zu werden – wie Krastinik es ausdrückte, der als Aristokrat immer noch in gräulichen Fremdwörtern sprach und das gute deutsche Wort »Unzertrennliche« für phrasenhaft und formlos gehalten haben würde.
Von der sonderbaren Affaire, die sie zusammengeführt, sprachen sie nur wenig. Rother meinte freilich, er müsse nun abreisen, und bitte den Grafen, sich zu entschließen. Allein dieser wich noch immer aus: Kommt Zeit, kommt Rath.
Also er solle ein schriftliches Zeugniß in Form eines Privatbriefes an Rother ablegen, das ihm als Waffe gegen die weibliche Tückeboldin diene?
Besser wäre also wohl ein mündliches Zeugniß?
Ja, darauf wagte Rother nicht zu hoffen. – Nun, man könne ja nicht wissen,
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