Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Hände liefen, zu machen pflegte – ein üblicher Usus der Londoner Geschäftsleute bei dem Umsichgreifen gefälschten Papiergeldes. Die Nummerzahl der Banknote aber belehrte ihn, daß dieselbe am selben Tag von ihm beim Wechseln einer größeren Summe an eine ältere Dame übergeben war, die in derselben Straße wohnte. Das erregte seinen Verdacht. Er zog einen Detective ins Vertrauen und ließ den jungen Mann beobachten, da dieser sich wiederholt in der Gegend blicken ließ. Und was ergab sich als Resultat? Daß die Banknote freilich nicht entwendet, sondern von der Dame (verheirathet und über erotisches Alter längst hinaus) nebst manchem anderen Sümmchen dem Jüngling gespendet worden war – für gewisse Dienste.
    Krastinik, eine ursprünglich romantische Natur, fand mehr und mehr Gefallen an der naturwissenschaftlichcynischen Auffassung seines Freundes. Eine glühende Schönheitstrunkenheit hatte auch Dorrington's Gemüth in der Jugend beherrscht. Er verstand die duftige Wonneberauschung, welche Krastinik's Sinne gefangen hielt, indem er den Liebreiz des Weibes und die Holdseligkeit der Natur wie ein sich innerlich Bedingendes zugleich empfand. In den Tiefen süßester Geheimnisse schwelgte einst auch er. Doch mit sanftelegischen Herbstgefühlen ward sich der Alternde bewußt, daß der rosige Mai und der goldene Sommer für immer ihm entschwunden seien. Diese blutvolle Erinnerungssehnsucht schied so schwer vom Genusse und wollte kaum entsagungsstille werden, wenn auch mildere Klänge ehelichen Friedens in ihm nachtönten, wie abendliche Glocken.
    »Jaja,« belehrte er grämlich seinen jungen Freund. »Um das weibliche ewig Leibliche dreht sich Alles. Erst mußt Du Deine Papierseiten mit erotischem Oel beschmieren: dann wird sich das Leben schon von selbst darauf abmalen lassen. Aber nie ohne diese Untermalung mit erotischem Sekkativ.« (Er kannte letzteren Kunstausdruck als Amateur, der gern in den Studios umherbummelte, um als gefürchteter »Kenner« bei jeder Ausstellung der Royal Academy of Arts zu kritteln.) »Beiläufig, die O'Donnogan beklagt sich, Du besuchtest sie gar nicht mehr. Nun und Egremonts?« Er werde nächstens mal wieder dort vorsprechen, sagte der Graf. »Ja ja, die holde Alice! Wie ein Lämmlein steht sie da in weißem Gewande und – scheert Gimpel. Eine Meisterin der vielverheißenden Herumschmachterei,
the little flirt.
Na, nichts für ungut,« begütigte er, als Krastinik, auf dessen Arm er sich lehnte, unwillig aufzuckte. »Wir alten Leute sind derb!«
    »Wie befindet sich denn Mr. Egremont?«
    »Ach, der ist völlig verrückt vor Pomposität. Jetzt hat er den culinarischen Größenwahn. Will aus dem Saft von Kibitzeiern, Spargel, Hummer und Austern eine Pasteten-Sauce construiren, die seinen Namen verewigen soll. Er will sie ›Jubiläumspastete‹ taufen, zu Ehren der Königin Victoria. Gastronomische Streberei! Daß Gott erbarm!«
    Kraftinik stattete dem zur Ruhe gesetzten Beherrscher des geistigen Lebens der »Britischen Aristokratie« einige Tage darauf einen Besuch ab und schnitt Miß Alice, die wieder tiefsinnig gemüthvoll in ihre kluge Ruhe gewickelt dasaß, gewaltig die Cour. Man wurde sehr warm.
    »Sie müssen nicht so liebenswürdig sein! Das wird mir gefährlich,« flötete das sanfte Amphibienweibchen mit ihrer molluskenhaften Anschmiegsamkeit. Die Heuchelei mancher Frauennaturen grenzt an Genialität. Denn sie scheint naiv-unbewußt.
    Da wurde Mowbray gemeldet und ein eigenthümliches Lächeln flog über Alice's zarte Züge, indem sie in ihren weichen Fauteuil und ihre Musselinrobe gleichsam versank. Krastinik empfahl sich sofort. Dieser Geck war ihm unerträglich.
    Er begann, über seine Gefühle ernstlich mit sich zu Rathe zu gehen.
    Wenn er Maud und Alice sah, waren sie ihm gleichgültig; so wie sie ihm aus dem Gesichtskreis entschwanden, ergriff ihn heftige Neigung für sie. Auch der umgekehrte Fall trat ein, daß er in ihrem Beisein voll Verliebtheit strotzte und später kühl vergaß.
    Alles nur Scheinliebe. Der, Modelle und Anregungen, suchende, Egoismus des Künstlers herrschte bereits so mächtig in ihm, daß er, sobald ihm ein anziehendes weibliches Wesen in den Weg kam, sich gleichsam Rechnung von deren Vorzügen und seiner etwaigen Liebesbegierde für sie ablegte.
    Die O'Donnogan war ihm gänzlich zuwider geworden. Lebemänner, die einige Haare verloren haben, werden selten von koketten Wittwen und älteren Salondamen gereizt.
    Seine Liebesbedürfnisse

Weitere Kostenlose Bücher