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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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aufgerissen, zugleich hörte der Horchende einen scharfen Wortwechsel, nachher ein Geräusch, als ob ein Protestierender unsanft hinausgeworfen würde. Dann wurde die Thür zugeschlagen. – Aber es blieb nicht still, sondern eine jammernde Stimme ließ sich in einem halblauten Selbstgespräch vernehmen, indem sie näher und näher zu des Lauschenden Standpunkt vorüberkam. Wie, was? War das nicht der »Badhiesl« aus St. Paukraz, der immer als Botenläufer von Obermals (Meran) der eifrige Vermittler der Liebeskorrespondenz gewesen, welche der junge Norddeutsche mit der schönen Bewohnerin dieses Ultener Wirthshauses, Josefa Holzner, der Wirthstochter, unterhielt? Hören wir!
    »'s is a Sünd und a Schand!« jammerte der Hinausgeworfene vor sich hin. »Solch 'an Staatskerl und solch a fein's Madli! Himmelherrgottsakerment, das reut euk (euch) noch. – Ach und gar so gut 'zahlt hat er mich!«
    »Badhiesl!« rief der junge Mann hastig. »Was hast?« Dieser aber fuhr erschrocken auf, starrte seinen Auftraggeber einen Augenblick trostlos an und stieß dann krampfhaft hervor:
    »Rausg'schmissen hat mi der Alte. Aussi is, aussi!« Und damit macht er als weichmüthiger Naturbursche sich plötzlich auf die Hacken und lief davon.
    Tief aufathmend blieb der Norddeutsche vor der Schwelle des Wirthshauses stehen. Er hatte so etwas geahnt. Wäre es möglich, daß der alte Holzner die grenzenlose Ehre, deren man ihn würdigen wollte, verschmähte? Schwiegervater eines preußischen Junkers zu werden – giebt es eine süßere Aussicht?!
    Wie lange hatte der junge Junker mit sich selbst gerungen, ehe er zu dem Entschluß kam:
    Josefa Holzner, das schönste Mädchen in Ulten, die Perle von Tirol – sie muß sein eigen werden, koste es was es wolle. Vor zwei Jahren hierher verschlagen, hat ihn der goldne Pfeil Amors aus ihren Augen durchbohrt. Und er ist regelmäßig wiedergekommen, Jahr für Jahr – und jetzt weiß er's: Sie oder keine!
    »Sie liebt mich wieder, so sollt ich doch denken. Ja, sie thut es. Und ob uns stärkere Schranken trennen, als die Mainlinie leider Süd- und Norddeutsche spaltet – diese Schranken will ich wenigstens brechen, wenn ich auch die Deutschen nicht eins machen kann. Die Kerls alle, meine Nebenbuhler, diese schmachtlappigen Zierbengel von Kurgästen, die um sie herumschwenzeln – ich hab sie alle eingeschüchtert und 'rausjejrault. Holla, ich bin ein Mann! So will ich denn jetzt das letzte und äußerste thun. Meine Geliebte wird Josefa nicht, denn ich liebe sie. Meine Frau soll sie werden, und ob all' meine hochadligen Sippen und Magen sich vor Schreck die Hälse ausrecken!
Qu'est que cela, la noblesse?!
Was ist's mit dem ›Adel‹. Meine Mutter ist eine Bürgerliche, gar keine ›Geborene‹. Sie nennen mich junkerhaft – weil ich stolz bin, nicht auf meine Junkerei, sondern auf meine Mannheit. Ja, ich bin preußischer Junker, ich ehre den Adel, dessen Glied ich bin – aber der wahre Adel, der steckt im Menschen selbst. Im Volke steckt die wahre Kraft. ›Bildung‹ – ich pfeife was drauf! Ob Josefa französisch parliren und das Klavier stümpern kann, das ist mir gleichgültig. Sie ist schön, sie ist klug, sie ist gut und ich liebe sie. Das ist genug ... Ja, Kampf wird's kosten. Aber ich will ihn schon durchfechten, ich! Ich hab' Schneid' genug, mir allein durchs Leben zu helfen. Habt's a Schneid'! sagen wir hier, wir Tyroler. – Nun so laßt doch seh'n, was der Alte will.«
    Er hatte am vorigen Abend an den Alten per Badhiesl geschrieben, als dieser ihm gedroht, man werde nun Josefa einsperren und ihr jeden Umgang mit ihm untersagen, er wolle in allen Ehren um ihre Hand werben. Er bitte hiermit ihm Josefa zur Frau zu geben, und werde dankbar dafür sein! Nach der Frohnleichnamprocession werde er sich die Antwort holen.
    Was mußte ihn, einen obskuren märkischen Adligen ohne Vermögen und Konnexionen, aufgewachsen in altererbten nichtigen Vorurtheilen des sogenannten »Standesgefühls« und Kastenunfugs, dieser Entschluß gekostet haben, der vielleicht seine ganze Zukunft zerriß! War er »sentimental« oder »poetisch«? Gott bewahre! Eine eminent praktische Natur. Aber er trug jene elementare Leidenschaft in sich, welche bedeutende Menschen besonders in der »Liebe« zu Thorheiten verleitet, die mittelmäßigen Durchschnittsnaturen stets erspart bleiben. Ob »praktisch« oder »poetisch«, ob Dichterling oder Staatshämorrhoidarius bleibt sich gleich – auf die Bedeutendheit kommt es

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