Größenwahn
versinnbildlichen. Es war, als ob Wesen und Dinge in stiller Seligkeit verschmölzen.
Aber ein nahendes Gewitter tummelte seine kupferrothen Wolken um die jähen Spitzen, welche ihren Kegelschatten tiefer senkten. Ueber den weinbestandenen Terassen des schrägen Gebirges, über dem Kirchlein, zu dem sich einzeln Hütte an Hütte hinanzog – an die Bergwand angeklext und vom Wetterschein jetzt geisterhaft bemalt – thürmte sich, starr und blaß wie der Tod, die eisbekrustete zerrissene Dolomitenkette empor. So starrt die Leidenschaft, eine Medusa, in den Frieden der Gotteswelt hinein.
Da ließ sich der Ruf eines Kuckucks auf dem lautlosen Nadelgehölz vernehmen, die lautlosen Einsiedler-Monologe der ruhenden Natur unterbrechend und störend.
»Verfluchter Kuckuck!« rief der finstre Wanderer, indem er seine verschmähte Freierschaft mit der symbolischen Bedeutung des Vogelrufes unwillkürlich in Verbindung setzte.
Aber der Kuckuck ließ sich nicht das Wort verbieten; er schlug fort. Da huschte auf einmal, wie ein plötzlicher Sonnenstrahl, ein schalkhaftes Zucken frisch erwachenden Humors um den ehernen Mund, und während er sich reckend mit dem Arm eine Bewegung machte, als streife er etwas Lästiges ab, kam es plötzlich über seine Lippen: »Hol's der Kuckuck, ich bleibe doch der Otto Bismarck!« Basta.
So geschehen
anno domini
eintausendachthundertneununddreißig. Josefa heirathete einen biedern, katholischen Schreiber, Alois Schmid, in Salzburg. Dort liegt sie begraben.
Na, was sagst dazu? Wär's nicht hübsch, wenn's so gewesen wär'?
Als ich die Anecdote niederschrieb, stützte ich mich auf völlig genügende Berechtigung dazu. Denn nicht nur ist die Affaire in dieser Form in ganz Tirol bekannt, nicht nur wird sie in Meran jedem Fremden erzählt, sondern sie ist in alle möglichen Bücher über Meran und Tirol übergegangen. Eine Autorität wie Noë erzählt sie in seinem »Frühling in Meran« als absolut feststehend. Baillie Grohmann, der zuverlässige Kenner Tirols und Autor von »
Tyrol and the Tyrolese
« hat in seinen »
Gaddings with a primitive people
« (1879) die Sache mit äußerster Breite behandelt, sogar in einer Extraanmerkung versichert, er habe alle Details persönlich untersucht und könne sich dafür verbürgen. Es sei nicht die geringste romantische Zuthat dabei. Ich war also vollauf berechtigt, diese Geschichte, deren ›Entdecker‹ ich ja keineswegs bin, in dieser Form niederzuschreiben, und begehe damit nicht die geringste Indiscretion.
Nun muß ich aber zur Steuer der Wahrheit erklären, daß von Eingeborenen, die genau unterrichtet sind, mir seither feierlich versichert wurde, es sei ein andrer Herr von Bismarck gewesen. Obwohl mir dies psychologisch nicht plausibel scheint, indem ich annehme, nur eine geniale Natur sei solcher liebenswürdigen Jugendtollheit fähig, so will ich also hiermit einfach die Frage offen halten.
Aber wahrhaftig, es ist doch immer die alte Geschichte: Wo ist die Katz, wo steckt die Frau! Kennst Du das famose Tagebuch des Nürnberger Scharfrichters aus dem 14. Jahrhundert? Darin wird erzählt, wie ein Freudenmädchen als ewig rückfällig durch Erregung öffentlichen Aergernisses endlich zum Tode verurtheilt wurde, sintemal sie sich in unanständiger Stellung auf der Straße entblößet und dazu geschrieen habe: ›Hui, ..., friß den Mann !!‹ Friß den Mann! welche Welt liegt in diesem erotischen Lakonismus. Ja, hui ! Siehst Du sie nicht ordentlich schleckern, dem Mann das Mark aus den Knochen saugen, he? Ja, an der Schürze hängt, zur Schürze drängt doch alles, o wir Armen! wie Papa Altmeister so schön irgendwo singt.
Na lebwohl! Das ist der längste Brief, den ich jemals schrieb,
sacré nom de dieu!
Ich fühle halt das freundschaftliche Bedürfniß, hier aus meiner olympischen Einsamkeit von den Inseln der Seligen her, als glücklicher Lotosesser Deiner Berliner Nervensaft-Vergeudung ein Maulvoll frischer Bergluft zu schicken.
A rivederci!
Dein
Knorrer der Keusche.«
Dies Schreiben wirkte auf Rother giftig aufregend, wie grünlich schäumender Absynth. Das Grünen und Schäumen einer hoffnungsüppigen Lebenslust schmeckte darin zugleich nach bitterer pessimistischer Hefe. Man mußte den Schreiber des Briefes kennen, um den Inhalt zu würdigen.
Knorrer war eine prächtige Repräsentativfigur altbajuvarischen Kraftadelthums. Seine naturalistisch derben Kneipscenen hatten durch den virtuosen flotten Strich der Vortragsmanier
Weitere Kostenlose Bücher