Größenwahn
Schule gemacht. Er hatte in Paris unter Courbet und Couture studirt und aus deren Ateliers die markige Frische seiner Palette mitgenommen. Weniger sein eigentliches Kunstvermögen – denn dies verkümmerte ein wenig neben dem agitatorischen Eifer seiner schulemachenden Reformbestrebungen –, als die ganze gesunde Verve seiner künstlerischen Persönlichkeit, gab ihm eine führende Stellung in der naturalistischen Strömung der neudeutschen Malerei, zu der auch Rother sich zählte. Wie es bei den meisten Originalmenschen der Fall zu sein pflegt, wohnten zwei Seelen in seiner Brust. Die eine gehörte einem Denker und Agitator, der mit wahrem sittlichem Eifer dem echten Ideal der Wahrheit anhing und wider conventionelle Verlogenheit einen tapferen Kreuzzug führte. Die andre hingegen gehörte einem Genüßling, dem seine Laune und Leidenschaft stets als oberstes Gesetz gegolten. Hier nun kam ein Umstand hinzu, der ihn erst recht in Zwiespalt mit seinem besseren Selbst brachte. Er galt nämlich mit Recht als einer der schönsten Männer Deutschlands. Und zwar nicht von jener charakterlosen verwaschenen Schönheit des Dandys konnte die Rede sein, die so wohlfeil wie Brombeeren. Sondern sein mächtiger Kopf mit den krausen trotzigen Locken, der breitgewölbten Stirn, dem kühnen Knebelbart zeigte große wuchtige Formen. Allerdings entsprach seinem Stiernacken ein düstrer Stierblick und rücksichtslose Sinnlichkeit lag in seinem kräftigen Ausdruck. Auch seine Gladiator-Gestalt wie sein Gesicht verloren mit den Jahren (er stand im besten Mannesalter) durch constante Verfettung an Ebenmaß, wenn er auch immer noch in seiner burschikosen Jovialität eine imponirende Erscheinung blieb. Diesen Vorzug hatte er stets an sich gekannt und geschätzt.
Allmählich bildete sich bei ihm der Wahn aus, weil so viele sinnliche Weiber seinem Mannesthum nicht widerstehen konnten, daß überhaupt beim Weibe nichts als die physische Begier der sogenannten Liebe mitspiele. Seine gänzliche Verachtung des schönen Geschlechts verrieth zwar einerseits den Größenwahn des »schönen Mannes« ( diese bekannte Spezialität), andrerseits aber seinen verkappten Idealismus. Stolz auf seinen Geist und seine psychische Genialität, auch gleich stark zum geistigen Kampf wie zur Sinnlichkeit hingezogen, verachtete er seine eigene Unwiderstehlichkeit dem Weibe gegenüber, das in ihm nur eine Wollustmaschine suchte, das seine Schenkel und keineswegs sein Gehirn anbetete. Seine Eitelkeit wie sein berechtigter Mannesstolz, der dies durchschaute, fühlten sich tief davon verletzt. In ihm brannte dabei eine seltsame Scham, als ob auch die Jungfräulichkeit seines Innern durch diese Erotik plump in den Koth gezerrt sei. So litt er an einem ewigen seelischen Katzenjammer, den er nicht Wort haben wollte und den Niemand erkannte. Der gefallene Engel, der idealistische Heldenmensch rumorte in ihm, den der Sinnendienst so lange unterjocht hatte, bis ihm zum letzten Aufraffen fast keine Zeit mehr blieb. So erregte er denn ironisches Gelächter, wenn er in trotzigen Kampfreden vor allem die Keuschheit als Grundbedingung des echten Künstlerthums empfahl – ohne daß man erwog, wie er, der von einer Liebelei in die andern taumelte, ja am besten den Werth eines vermißten Gutes ermessen konnte.
Allein, auf der andern Seite wollte er wieder sein tiefes seelisches Unglück, seinen bitteren Sündenfall d.h. die Abtrünnigkeit von idealeren Zielen, zu denen er bestimmt schien, nicht Wort haben. Dann strich er geflissentlich die körperliche Tüchtigkeit heraus, verstieg sich zu Albernheiten, wie: Ihm seien Macher wie Meissonier und Sardon ein Ekel, schon weil diese persönlich kleine mickrige schwächliche Menschen sein, während ein Kerl wie Zola ihm schon durch seine Metzger-Figur imponire. Und dergleichen Dinge mehr, die eine feine sensitive Natur wie Rother mit staunender Verwunderung anhörte, ohne sich in seiner schwächlichen Anschmiegsamkeit zur Geringschätzung solcher Unreife erheben zu können. Auf ihn übte aber alles das einen verderblichen Einfluß aus. Wenn man einem Menschen unaufhörlich die Sinnlichkeit der Erotik als Höchstes preist und selbst, indem man darüber schimpft, diese Episode des Manneslebens als das eigentliche Epos und das einzig Lebenswerthe feiert, so muß das endlich auch dessen eigene Weltanschauung beeinflussen.
War es daher zu verwundern, daß Rother, nachdem er das saftige geistfunkelnde Schreiben Knorrers gründlich verdaut
Weitere Kostenlose Bücher